Der Begriff Performativität geht zurück auf die Sprechakttheorie und wurde insbesondere von dem Sprachphilosophen John L. Austin ‚ins Spiel‘ gebracht. Er verweist mit dem Terminus auf die handlungspraktische Dimension des Sprechens, d.h. dasjenige zu vollziehen oder zu produzieren, was im Sprechen benannt wird, und es nicht lediglich zu bezeichnen. Beispielsweise wird mit der Äußerung: „Hiermit erkläre ich Sie zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten“ von Standesbeamt_innen gegenüber einem Hochzeitspaar das Referenzobjekt, die Ehe, im Sprechen erst hervorgebracht. In die soziale Realität wird insofern verändernd eingegriffen, als dass das Hochzeitspaar nunmehr – aufgrund des Sprechakts – als verheiratet gilt. Sprechakte können somit nicht hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts, sondern lediglich hinsichtlich ihres Gelingens beurteilt werden (Austin, 1972). Jedoch sind Sprechakte nicht zwingend und ausschließlich als performativ zu verstehen: Austin differenziert hier z.B. die lokutionäre (die Handlung des Etwas-Sagens), die illokutionäre (die im Sprechen vollzogene Handlung) und die perlokutionäre (Effekte, die durch das Sprechen erreicht werden) Dimension des Sprechakts. [1]
Während Austin das Gelingen des sprachlichen Handelns an bestimmte Bedingungen knüpft, wie beispielsweise an Riten oder konventionelle Kontexte oder an die Autorität des bzw. der Sprechenden als Vertreter_in des Gesetzes, sieht Jacques Derrida die wirklichkeitskonstituierende Kraft des Performativs in seiner Iterabilität begründet, womit eine Wiederholung, die sich mit Andersheit verbindet, bezeichnet wird: „Könnte eine performative Aussage gelingen, wenn ihre Formulierung nicht eine ‚codierte‘ oder iterierbare Aussage wiederholen würde, [...] wenn sie also nicht in gewisser Weise als ‚Zitat‘ identifiziert werden könnte“ (Derrida, 2004, S. 99; vgl. auch Butler, 1993)? Diesem Verständnis nach lässt sich die Bedeutung einer performativen Äußerung durch keinen Kontext vollständig begrenzen, so dass das Misslingen des Performativs zu seinem strukturellen Merkmal wird. [2]
Die Philosophin Judith Butler öffnet Derridas Iterabilitätskonzept für kultur- und insbesondere gendertheoretische Überlegungen. Sie weist jedoch mit Austin darauf hin, dass manche „Kontexte mit bestimmten Sprechakten in einer Weise zusammenhängen, die nur schwer zu erschüttern ist“ (Butler, 2006, S. 252), da sie sich als ‚das Gewöhnliche‘ sedimentiert haben. Performativität ist für Butler ein wiederholtes (sprachliches) Tun, das eine produktive und generative Wirkung auf die soziosymbolische Realität entfaltet, gerade weil es auf kontingenten sozialen Grundlagen operiert (vgl. Butler, 1993). Das Sein oder So-Sein eines Geschlechtes ist demnach kein ontologischer Status, der aus einer vordiskursiven Wirklichkeit schöpft, sondern das Ergebnis performativer Inszenierungen, die sich selbst erfolgreich als Sein darstellen, d.h. ihre Konstruiertheit verschleiern und einen Naturalisierungseffekt hervorrufen (Butler, 1991, S. 79). Geschlechtsidentität erscheint damit als das Ergebnis einer rituellen Wiederholungspraxis. [3]
Um existieren zu können, muss das Subjekt zunächst in ein kulturelles Dasein hineingerufen worden sein, d.h. diskursiv-machtvoll konstituiert (nicht konstruiert bzw. determiniert) werden. Beispielsweise bekommt das neugeborene Kind durch die performative Direktive der Ärztin: „Es ist ein Mädchen!“ eine Geschlechtsidentität zugewiesen, die im Laufe des Daseins vielfach wiederholt und von verschiedenen Stellen her erneuert werden wird. Im ärztlichen Kategorisieren des Kindes als ‚Mädchen‘ wird also eine Kette konventioneller Äußerungen wiederholt, die „geschichtlich aufgebaut und zugleich verborgen“ (Butler, 2006, S. 84) ist und der geschlechtlichen Anrufung erst ihre Kraft verleiht. Auch die sprechende Ärztin handelt nicht autonom, da sie, um sprechen zu können, bereits durch machtvolle Anrufungen subjektiviert wurde. Die diskursive Norm der Zweigeschlechtlichkeit ist demnach nicht stabil, sondern auf ihre wiederholten Zitierungen angewiesen, um machtvoll zu bleiben und eine Wirkung zu entfalten, die zugleich produktiv und repressiv ist. [4]
In der Verheißung eines intelligiblen Subjektstatus, innerhalb dessen Denk- und Lebbarkeiten konfiguriert werden, liegt dabei die normierende Kraft performativen Sprechens (vgl. Butler, 1995). Die sprachliche Anrufung bringt Subjekte nicht nur als diskursive hervor, sondern sie nimmt auch nach und nach „in körperlichen Stilen Form“ an, d.h. sie materialisiert sich im Habitus (Bourdieu) des gesellschaftlich konstituierten Subjekts (Butler, 2006; S. 239). Der körperliche Habitus ist demnach ein Effekt von Performativität, aber er ist auch performativ, insofern er einen Glauben des Subjekts an die gesellschaftliche Wirklichkeit wiederholt setzt und das diskursive Terrain bestätigt. [5]
Zugleich geht mit jeder Wiederholung ein notwendiger Ausschluss von differierenden, norm-inkongruenten Subjektivitäten einher, die von Diskurs und Norm in die Undenkbarkeit hinein verschoben werden. So darf das männliche Subjekt des hegemonialen Geschlechterdiskurses beispielsweise keine femininen Elemente aufrufen, um als ‚ordentlicher‘ bzw. ‚normaler‘ Mann sozial anerkannt zu werden. Für den Diskurs sind diese verworfenen Anderen dennoch konstitutiv und sorgen letztlich für seine Instabilität (vgl. das Konzept des konstitutiven Außen bei Derrida, z.B. 2004). [6]
Gegenüber Austins (und Bourdieus) deterministischem Kontext-Verständnis bekräftigt Butler mit Derrida die Logik der Iterabilität in performativen Akten und die Kontingenz des Sozialen. In der Möglichkeit verschiebender Resignifikationen und einem nicht-autorisierten Sprechen sieht Butler das subversive Potential des Performativen: „Genau darin, daß der Sprechakt eine nicht-konventionale Bedeutung annehmen kann, daß er in einem Kontext funktionieren kann, zu dem er nicht gehört, liegt das politische Versprechen der performativen Äußerung“ (Butler, 2006, S. 252). In den Variationen der Bedeutungen ist die Handlungsmöglichkeit (agency) des Subjekts angesiedelt, das so immer ein Teil jener Macht ist, gegen die es sich richtet (Butler, 1991, S. 213). [7]
Nicht allein in der Gender- oder Sprechakttheorie entfaltet das Konzept der Performativität produktive Wirkungen, sondern bspw. auch in den Kultur-, Theater- und Literaturwissenschaften (vgl. u.a. Hempfer & Volbers, 2011). [8]
Literatur:
Austin, J. L. (1972). Zur Theorie der Sprechakte. (How to do things with Words). Stuttgart: Philipp Reclam jun.
Butler, J. (1991). Das Unbehagen der Geschlechter (Gender studies, Bd. 722). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Butler, J. (1993). Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der "Postmoderne". In S. Benhabib, J. Butler, D. Cornell & N. Fraser (Hrsg.), Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart (S. 31–58). Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verl.
Butler, J. (1995). Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin: Berlin-Verl.
Butler, J. (2006). Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Derrida, J. (2004). Signatur Ereignis Kontext. In Die différance. Ausgewählte Texte (S. 68–109). Stuttgart: Philipp Reclam jun.
Hempfer, K. W. & Volbers, J. (Hrsg.). (2011). Theorien des Performativen. Sprache - Wissen - Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme (Edition Kulturwissenschaft, Bd. 6). Bielefeld: Transcript.
Zitationsvorschlag:
Schmidt, Melanie (2013). Performativität. In Gender Glossar / Gender Glossary (8 Absätze). Verfügbar unter http://gender-glossar.de
Persistente URN:
urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-220882 (Langzeitarchiv-PDF auf Qucosa-Server)
Melanie Schmidt
Melanie Schmidt wurde 1983 geboren und studierte bis 2009 Erziehungswissenschaften, Journalistik und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Leipzig. Seit ihrem Abschluss als Magistra Artium ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und forscht im Rahmen ihrer Dissertation zum Verhältnis von Pädagogik und neuen Steuerungsinstrumenten im Schulsystem. Ihre weiteren Forschungsinteressen sind „Anerkennung“ als Analysekategorie pädagogischer Praktiken und differenztheoretische Erkenntniszusammenhänge. Seit 2010 ist Melanie Schmidt Mitglied des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung (FraGes) der Universität Leipzig.
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