Das Präfix ‚trans-‘ ist aus dem Lateinischen hergeleitet und bedeutet jenseits - im Gegensatz zu ‚cis‘ diesseits. Wird das Präfix trans- vor Begriffe wie Geschlecht, Migration oder Kultur gesetzt, verweist es auf „Phänomene der spannungsreichen und unaufgelösten Ko-Präsenz von gegensätzlichen Semantiken, Sinn-Komponenten oder Zugehörigkeiten“ (Lösch, 2005, S. 252-253). Das mit trans* verbundene Erkenntnisinteresse zielt auf die Untersuchung der Herstellung von vermeintlichen Eindeutigkeiten in empirischer wie konzeptuell-theoretischer Hinsicht sowie auf damit einhergehende Ausschlüsse und Verwerfungen. Im Mittelpunkt stehen Momente „der Ungewissheit, der Unentscheidbarkeit und des Widerspruchs, die in Differenzkonstruktionen auf der Basis binärer Ordnungslogik ausgeblendet werden“ (Lösch, 2005, S. 252). [1]
Bezogen auf Geschlecht deutet trans* auf Lebensweisen hin, die nicht in einer (vermeintlich natürlichen und angeborenen) Zweigeschlechtlichkeit aufgehen. Die Offenheit des mit einem Bindestrich markierten Eigenschaftswortes verweigert sich inhaltlichen Eindeutigkeiten, da es mit verschiedenen Suffixen verbunden werden kann (vgl. Stryker, Currah & Moore, 2008, S. 11). Die Schreibweise trans* verweist somit auf unterschiedliche politische und subjektive Positionierungen und auf interne Auseinandersetzungen im Feld trans*geschlechtlicher Zusammenhänge (vgl. Schirmer, 2010, S. 113-114). Im deutschen Sprachraum ist trans* ein noch junger Sammelbegriff für eine Vielfalt von Identitäten und Lebensweisen, die sich der ‚Eindeutigkeit‘ der Zweigeschlechtlichkeit verweigern. Er wurde in aktivistischen Zusammenhängen in Abgrenzung zu der medizinisch-psychologisch geprägten Kategorie Transsexualität entwickelt, die auch insofern irreführend ist, als sie auf Sexualität und nicht auf Geschlecht verweist (vgl. Franzen & Sauer, 2010, S. 9). [2]
Trans*-Sein bzw. -leben kann in unterschiedliche Entscheidungen und Handlungsformen (etwa Namens- und Personenstandsänderungen oder körperliche Veränderungen) münden. Körperliche Veränderungen gehen mit medizinischen Eingriffen einher oder werden temporär vorgenommen (etwa mithilfe von Kleidung, Schminke, Bartkleber; vgl. Schirmer, 2010). Auch in Kindheit und Jugend sind Überschreitungen der Geschlechtergrenze möglich (Tervooren, 2006, 2004; Rottnek, 1999), manche davon gehen mit trans*geschlechtlichen Identifizierungen einher. Trans*Kinder und Trans*Jugendliche haben, so lange sie nicht volljährig sind, mit spezifischen Herausforderungen zu tun: Mit der Irritation zweigeschlechtlicher Normen müssen nicht nur sie selbst einen Umgang finden – und zwar oft, bevor sie für ihr geschlechtliches Selbstverhältnis überhaupt Worte haben – sondern auch die nahen erwachsenen Bezugspersonen. Von diesen sind sie emotional und ökonomisch abhängig (Focks, 2014, S. 8; Krell 2013, S. 23) sowie in Bezug auf Möglichkeiten der Inanspruchnahme medizinisch-therapeutischer Versorgung und Anträge auf Personenstandsänderungen (vgl. Bager & Elsuni, 2013). [3]
In frühen ethnomethodologischen Untersuchungen (Garfinkels Agnes-Studie, 1967; Kessler und McKennas Untersuchung der Geschlechtskonstruktionen von Transsexuellen, 1978) wird zunächst vor allem der Konstruktionscharakter der Zweigeschlechtlichkeit am Beispiel der ‚Ausnahme‘ Transsexualität untersucht. Seit diesen Untersuchungen ist die vermeintliche Natürlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit erklärungsbedürftig geworden, und Geschlecht rückt als Praxis, d.h. als komplexer Prozess des Darstellens und Wahrnehmens, in den Blick (vgl. Goffman, 1977; West & Zimmerman, 1987). In späteren Untersuchungen zu Transsexualität, die an die ethnomethodologische Tradition anknüpfen, werden stärker historische (Hirschauer, 1993 zur Genealogie des medizinischen Konzepts der Transsexualität) und medizinisch-juridische Bedingungen (Hirschauer, 1993; Lindemann, 1993) von Transsexualität rekonstruiert. In Gesa Lindemanns Untersuchung kommt darüber hinaus „der leiblichen und der affektiven Erfahrung“ (Lindemann, 1993, S. 21) der von ihr interviewten transsexuellen Personen eine hohe Bedeutung zu. Eine Gemeinsamkeit der Untersuchungen von Hirschauer und Lindemann besteht darin, dass sowohl die Perspektive (von Therapeut_innen, Gutachter_innen etc.) auf transsexuelle Menschen als auch deren eigener Blick auf die zweigeschlechtliche Normalität und deren institutionelle Verfahren fokussiert werden. Das Erkenntnisinteresse der bisher genannten Forschung richtet sich in der Tendenz darauf, die Hervorbringung einer zweigeschlechtlichen Wirklichkeit zu rekonstruieren (Schirmer, 2010, S. 23). [4]
Im Verhältnis zu den oben genannten Untersuchungen wird im Rahmen der interdisziplinären und seit den frühen 1990er Jahren sich etablierenden Queer- und Transgender Studies ein mehrfacher Perspektivenwechsel vorgenommen. Vor allem stehen hier Geschlechterpraxen und Selbstverhältnisse „an den Rändern der Zweigeschlechtlichkeit“ (Schirmer, 2010, S. 24) als eigenständige Wirklichkeiten von Trans*Personen im Mittelpunkt. Aus dieser Perspektive werden die heteronormative Zweigeschlechtlichkeit und der Druck, sich als Mann oder Frau verorten zu müssen, zum Gegenstand der Kritik (vgl. Schirmer, 2010, S. 32). Nachgezeichnet werden sowohl Perspektiven und Lebensweisen von Menschen, die dauerhaft als (Trans*)Männer oder (Trans*)Frauen leben als auch von Personen, die sich nicht dauerhaft auf ein männliches oder weibliches Geschlecht festlegen (vgl. Feinberg, 1998; Stryker & Whittle, 2006; Schirmer, 2010; Schuster, 2010; Polymorph, 2002; sowie Hoenes, 2014, zu visuellen Einsprüchen gegenüber der Ansicht, dass es nur zwei Geschlechter gibt). Damit steht –anders als in sozialkonstruktivistischen Untersuchungen, die von der Unterscheidung zwischen sex und gender ausgehen – nicht die Frage des un/doing gender, des situativen Aktualisierens oder „‚Ruhenlassen[s]‘ von (routinemäßigen) Geschlechterunterscheidungen“ (Hirschauer 1994, S. 678), im beruflichen oder schulischen Alltag etwa, im Zentrum der Aufmerksamkeit; vielmehr geht es um die Möglichkeiten und Begrenzungen geschlechtlicher (Selbst)Verhältnisse, die insgesamt nicht oder nicht dauerhaft mit dem zugewiesenen Geburtsgeschlecht und den damit einhergehenden sozialen Geschlechternormen und Erwartungen (Butler, 2009) korrespondieren. Forschung findet an den Schnittstellen von akademischen Kontexten und sozialen und subkulturellen Bewegungen statt (vgl. Franzen & Sauer, 2010, S. 12; Stryker, 2006a, S. 3-8). Gegenstand sind medizinische und (menschen-)rechtliche Fragen bezogen auf Trans*Lebensweisen sowie Fragen des Aufbrechens und Reartikulierens der Verweisungszusammenhänge zwischen geschlechtlich klassifizierten Körpern, der Bedeutungen, die diese in bestimmten Kontexten annehmen und der geschlechtlichen Selbstverhältnisse von Trans*Personen. Darüber hinaus spielen in diesem Forschungszusammenhang Communities, die Geschlechternormen sowie medizinische und psychologische Normierungsmechanismen sichtbar machen und kritisieren, eine bedeutende Rolle. In den Sexualwissenschaften und der Psychologie wird zunehmend thematisiert, dass Menschen nicht mehr entweder als Männer oder Frauen leben müssen, sondern die Kategorie Geschlecht deutlich flexibler gedacht werden sollte (vgl. Richter-Appelt, 2012). Ansätze dieser Art sind sehr vereinzelt auch in der Medizin zu finden (vgl. Klöppel, 2010). [5]
Trans*Geschlechtlichkeit irritiert ein normatives Verständnis der vermeintlich unabänderlichen Natur des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts, weil Trans*Personen bzw. Trans*Lebensweisen darauf hindeuten, dass Männer und Frauen Produkte einer heteronormativen Ordnung sind, die Ressourcen ungleich verteilt, Hierarchien aufrecht erhält und Ungleichheiten legitimiert (vgl. Wagenknecht, 2007). In diesem hierarchisch strukturierten sozialen Raum verschränken sich verschiedene Differenzlinien (etwa Geschlecht, Begehren, natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, ökonomisches Kapital, körperliche Mobilität/Beeinträchtigung). Das bedeutet, dass sich konkrete Subjektivierungsweisen, Aneignungen und Umarbeitungen von Geschlechtlichkeit abhängig von sozialen, ökonomischen und kulturellen Gegebenheiten gestalten (vgl. Beger, Franzen & Genschel, 2002, S. 227). Verschränkungen solcher Bedingungen sollten deshalb im Rahmen wissenschaftlicher Forschung und politischer Aktivitäten entsprechend in den Blick genommen werden. [6]