Sexismus bezeichnet jede Form der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts sowie die diesem Phänomen zugrunde liegende Geschlechterrollen festschreibende und hierarchisierende Ideologie (vgl. IDA, 2013). Er bezieht sich auf gesellschaftlich erwartete geschlechtsspezifische Verhaltensmuster (Geschlechterstereotype), wobei Männer eine privilegierte Position haben (Patriarchat) und deshalb primär Frauen als von Sexismus betroffen gelten. Aus sozialpsychologischer Perspektive können gleichwohl auch Männer von Sexismus betroffen sein. [1]
Sexismus ist kulturell bedingt und institutionell verankert. Da er ein gesellschaftliches Machtverhältnis widerspiegelt, sind die Erscheinungsformen zeitlich und kulturell verschieden und determiniert. Deutlich wird dies z.B. an der Veränderung der Vaterrolle oder auch in der Aufnahme von Frauen in den Militärdienst (vgl. Hollstein, 2012; Meuser, 2012). [2]
Ursprünglich wurde der Begriff in den 1960er Jahren in der US-amerikanischen Frauenbewegung als Analogie zu racism (Rassismus) eingeführt (vgl. Salmhofer, 2011, S. 364). 1976 hielt er durch das Buch von Marielouise Janssen-Jurreit „Sexismus: Über die Abtreibung der Frauenfrage“ Einzug in den deutschen Sprachgebrauch (vgl. Janssen-Jurreit, 1976, S. 702; Academic dictionaries and encyclopedias). Gleichwohl entstand in Deutschland im Zuge der zweiten Welle der Frauenbewegung bereits Ende der 1960er Jahre eine intensive Auseinandersetzung mit institutionalisierter Ungleichheit zwischen den Geschlechtern (vgl. Lenz, 2010, S. 873-874). Darüber hinaus wurde unter der Parole ‚Das Persönliche (oder Private) ist politisch‘ auch die individuelle, alltägliche Benachteiligung von Frauen kritisiert (vgl. Rivera Garretas, 2008). In den 1980er Jahren öffnete sich der feministische Diskurs in Deutschland gegenüber doppelter bzw. dreifacher Unterdrückung (double/tripple oppression) von Frauen durch die Wahrnehmung der Verschränkung von sexistischer mit rassistischer Diskriminierung und der Diskriminierung aufgrund der sozialen Klasse (vgl. Meulenbelt, 1988). [3]
Anfang der 1990er Jahre wurde die Sexismusdefinition im poststrukturalistischen Diskurs um die Kritik des heterosexuellen Begehrens sowie der sozialen Konstruktion binärer Geschlechtskörper erweitert und mit dem Begriff des Heterosexismus konkretisiert (vgl. Butler, 1991). Zusätzlich zur untergeordneten gesellschaftlichen Position von Frauen wurde die Diskriminierung gegenüber Lesben, Schwulen, Transgender und Intersexuellen diskutiert. [4]
In der Geschlechterforschung der 1990er Jahre erfolgte durch die Unterscheidung in traditionellen und modernen Sexismus eine Differenzierung des Konzepts. Traditioneller bzw. offener Sexismus (Benokratis & Feagin, 1995) basiert auf drei Kriterien: „(a) stereotypkonforme Betonung von Geschlechterunterschieden, (b) Minderwertigkeit von Frauen (relativ zu Männern) und (c) Befürwortung herkömmlicher Geschlechterrollen“ (Eckes 2010, S. 183). Moderner Sexismus (auch verdeckter oder Neosexismus, vgl. Swim u.a., 1995; Tougas u.a., 1995) zeichnet sich „...durch ein Abstreiten, dass sexuelle Diskriminierung weiterhin als Problem besteht, Feindseligkeit gegenüber Frauengruppierungen und durch den Glauben daran, dass Regierung und Medien sich zu sehr mit Maßnahmen für Frauen beschäftigen...“, aus (Plous, 2003, S. 10). Gemeinsam ist dem traditionellen und modernen Sexismus die überwiegend negative Bewertung von Frauen bzw. frauenrelevanten Themen. [5]
Eine positive Bewertung von Frauen kann ebenfalls sexistisch sein, wenn sie der Aufrechterhaltung der patriarchalen Gesellschaftsstruktur und Rechtfertigung offener Diskriminierung von Frauen dient. Einstellungen wie ‚Frauen sollten umsorgt und beschützt werden‘ stellen eine solche Form des ‚positiven‘ Sexismus dar und werden als benevolenter Sexismus (auch Kavalierstum, chivalry, Ritterlichkeit) bezeichnet (vgl. Eckes 2010, S. 184). Die Theorie des ambivalenten Sexismus (Glick & Fiske, 1996) benennt als komplementäre Einstellungskomponente zu Benevolenz Hostilismus bzw. Hostilität. Diese negativen, feindseligen Bewertungen von Frauen basieren auf klassischen gesellschaftlichen Macht- und Statusunterschieden zwischen den Geschlechtern (vgl. Klein & Briken, 2013, S. 35). Hostile Äußerungen sind beispielsweise ‚Frauen sind zu schnell beleidigt‘ oder ‚Die meisten Frauen sehen gar nicht, was Männer alles für sie tun‘ (vgl. Eckes, 2010, S. 184). [6]
Die feministische Sprachwissenschaft unterscheidet zwischen sprachlichem Sexismus im Sinne einer weit verbreiteten sexistischen Denk- und Sprachweise, die tief im alltäglichen Sprechen verankert ist, und sexistischer Sprache, die sich auf gesellschaftspolitische bzw. frauenpolitische Fragestellungen bezieht (vgl. Kegyesné Szekeres, 2005, S. 27). [7]
Durch Bücher wie „Wir Alphamädchen“ (Haaf, Klingner & Streidl, 2008) oder „Neue deutsche Mädchen“ (Hensel & Raether, 2008) wurde ab Anfang der 2000er Jahre Sexismus in Deutschland unter dem Label ‚Neuer Feminismus‘ bzw. ‚Popfeminismus‘ diskutiert (vgl. Hill, 2008, S. 3; Mohr, 2008). Zu Beginn des Jahres 2013 erfuhr die Sexismus-Debatte große mediale Aufmerksamkeit, ausgelöst durch den Artikel der Journalistin Laura Himmelreich im Magazin „Stern“, in welchem sie das Verhalten des FDP-Politikers Rainer Brüderle als sexistisch darstellt (vgl. Himmelreich, 2013; Kuzmany, 2013). Im Anschluss an das Erscheinen des Artikels veröffentlichten innerhalb von drei Tagen auf Twitter unter dem Schlagwort ‚Aufschrei‘ über 60.000 Frauen ihre alltäglichen Erfahrungen mit Sexismus (vgl. Schmitz, 2013). [8]