Etymologisch leitet sich der Begriff Pornographie aus dem Griechischen von „pornográphos“ (πορνογράφος), „über Huren schreibend“, ab (vgl. Paul, 2002). Vermutlich wurde er erstmals und in diesem Sinne 1769 von Restif de la Bretonnes in seiner Abhandlung „Le Pornographe“ verwendet (vgl. Hunt, 1994, S. 11). Der heutige Gebrauch des Begriffs ist vielfältig (vgl. Döring, 2011b, S. 230-234): Inhaltlich-funktionalen Definitionen zufolge liegt Pornographie dann vor, wenn nackte Körper bei sexuellen Handlungen direkt und detailliert zu sehen sind. Pornographie in diesem Sinn umfasst professionelle, kommerzielle heterosexuelle Mainstreampornographie sowie beispielsweise kommerzielle wie nicht-kommerzielle queere, schwule, lesbische, feministische Pornographien und Amateurpornographien. Juristische Definitionen erfassen bestimmte negativ konnotierte sexuell explizite Darstellungen. In der Alltagssprache kann der Begriff auch sexuelle Darstellungen erfassen, die keine Pornographie im juristischen Sinn sind, er kann zudem Bezüge zu Nichtsexuellem herstellen. Darunter fallen popkulturelle Verwendungen des Begriffs wie Porno-Rap oder die Benutzung des Adjektivs porno im jugendkulturellen Sprachgebrauch (vgl. Döring, 2013, S. 420). Als pornographisch werden sexuell explizite und sexuell nicht explizite Darstellungen auch bezeichnet, um sie als unmoralisch zu kennzeichnen, etwa wenn sie als sexistisch oder als ungehörig empfunden werden (vgl. Schubarth, 2010). [1]
Die vor allem in den 1970er und -80er Jahren geführte als feminist sex wars bekannte feministische Debatte prägte lange Zeit die öffentliche Wahrnehmung von Pornographie. Besonders in den USA und Kanada kämpften radikalfeministische Anti-Pornographie-Aktivist_innen für ein umfassendes rechtliches Verbot. Sie betrachteten Pornographie nicht als Darstellung, sondern als gewalttätige Handlung oder gar Vergewaltigung, die vor allem Frauen unmittelbar in ihrer Würde verletzt (vgl. Dworkin, 1987, S. 242; MacKinnon, 1994, S. 13-39). In Deutschland wurde die PorNO-Bewegung durch die gleichnamige Kampagne Alice Schwarzers populär (vgl. Schwarzer, 1994, S. 203-246; vgl. Jensen, 2007). Diese Positionen waren nie unumstritten. Pro-Sex-Feministinnen kämpften bereits Anfang der 1980er Jahre für sexuelle Selbstbestimmung. Sie fürchteten insbesondere die mit einem Verbot einhergehende Beschränkung der Redefreiheit, etwa die Zensur lesbischer oder schwuler Pornographie (vgl. Strossen, 1997, S. 14-36; Döring, 2011a, S. 11-15). Die seit 2009 stattfindende Verleihung des PorYES Awards ist eine direkte Reaktion auf die Anti-Pornographie-Bewegung. Die Initiatorinnen leugnen die Existenz menschenverachtender Pornographie nicht, setzen ihr aber Inszenierungen entgegen, die ein sexpositives, selbstbestimmtes Bild von Frauen und ihrer Sexualität transportieren (vgl. Méritt, 2012, S. 371-374). [2]
Seit den 1990er Jahren setzt verstärkt die Akademisierung des Themas ein. Wurden vorher zumeist historische Abhandlungen und Pro-Contra-Gegenüberstellungen publiziert (vgl. Frings 1988, S. 7-9; Fuchs 1985 S. 183-208; Hyde 1964, S. 50-213; Kendrick 1987, S. 33-187), differenziert sich das Feld seitdem. Diskurs-, Dispositiv-, und andere Gesellschaftsanalysen (vgl. Metelmann 2010, S. 137-158; Müller 2010, S. 43-76; Lewandowski 2012, S. 175-226) untersuchen dabei zunehmend auch die Rolle des Internets (vgl. Attwood 2010, S. 236-244; Jacobs 2007, S. 11-44). Als Wegbereiterin der Porn Studies gilt Linda Williams, die 1989 erstmals eine umfassende filmwissenschaftliche Studie vorlegte (vgl. Williams, 1995, S. 165-203; Williams, 2004, S. 1-23). Porn Studies, die Pornographie als zeitgenössisches Alltags- und Massenphänomen betrachten, analysieren die Nutzungs- und Produktionsbedingungen pornographischer Produkte, deren soziokulturelle Bedeutung und rechtliche Rahmung (vgl. Comella, 2013, S. 79-104; Patterson, 2004, S. 104-126; Villa, 2012, S. 51-66). Ein zentrales Thema ist dabei die Hetero- und Homonormativitätskritik. Einige der Forscher_innen verstehen sich gleichsam als politische Aktivist_innen und beteiligen sich, etwa im Rahmen des Post-Porn, selbst an der Sexindustrie, um mit queeren Repräsentationen Gegengewichte zum heterosexuellen Mainstream zu etablieren (vgl. Hill-Meyer, 2013, S. 155-163; Preciado, 2003, S. 23-32; Stüttgen, 2009, S. 8-22). Die Porn Studies zeichnen sich durch eine tendenziell positive Beurteilung von Pornographie aus und betonen deren Subversionspotenziale. Dies wird gegenwärtig ebenso kritisiert wie die oft einseitige Ausrichtung auf Produktion und Konsumption in westlichen Ländern (vgl. Hester, 2014, S. 2-9; Jacobs, 2014, S. 114-119; Williams, 2014, S. 24-40). Die Untersuchung des über Sex hinausgehenden Pornographie-Begriffs steht noch am Anfang und wird mitunter im Hinblick auf sich verändernde gesellschaftliche Tabuvorstellungen analysiert (vgl. Hester, 2014, S. 67-86; Schumacher, 2014, 181-198). Seit 2014 existiert mit „Porn Studies“ eine eigene Fachzeitschrift der Disziplin. [3]
Das Phänomen und der Begriff der Pornographie sind eng mit der staatlichen Überwachung und Zensur sexueller Darstellungen verknüpft, die ab dem 19. Jahrhundert vor allem dem Schutz der Moral oder Sittlichkeit dienten (vgl. Hunt, 1994, S. 9-12). Dies zeigen etwa die internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Schriften von Paris vom 4.5.1910 und von Genf vom 12.9.1923 (vgl. Liszt & Fleischmann, 1925, S. 376). Als unzüchtig galten Schriften, wenn sie „objektiv geeignet [waren], das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Hinsicht gröblich zu verletzen“ (RG, 1895, S. 115). Zunehmend setzt sich aber die Auffassung durch, dass es problematisch ist, Darstellungen rechtlich zu verbieten, weil sie herrschende sexuelle Moralvorstellung verletzen (vgl. BGH, 1969, S. 43-44). Denn das Recht soll die Bedingungen individueller Freiheit im Gemeinschaftsleben und nicht bestimmte Moralvorstellungen schützen (vgl. Enders 2014, Rn. 79, 81). Heute tendieren die Zwecke rechtlicher Regulierungen von Pornographie zum Schutz der Bedingungen individueller Freiheit. Beispielsweise stellt das deutsche Strafrecht in den §§ 184b, d, e StGB Handlungen in Bezug auf Kinderpornographie unter Strafe, um Kinder vor sexuellem Missbrauch als Darsteller_innen zu bewahren (vgl. Hörnle, 2012, § 184b Rn. 1), und die §§ 184, 184d StGB verbieten, Minderjährigen Pornographie individuell oder öffentlich zugänglich zu machen, um sie vor Beeinträchtigungen in ihrer psychischen Entwicklung zu schützen (vgl. Fischer, 2015, § 184 Rn. 2). Der im deutschen Strafrecht überwiegend vertretene Pornographiebegriff weist dennoch moralische Bezüge auf. Ihm zufolge sind sexuelle Darstellungen dann pornographisch, wenn sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes zielen, die interpersonalen Bezüge von Sexualität vernachlässigen und „die nach allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten“ (Hörnle, 2012, § 184 Rn. 17-20). [4]
Die Wirkungsforschung, die einen Großteil der empirischen Forschung zu Pornographie ausmacht, versucht vor allem, negative Wirkungen von Pornographie zu belegen (zur Einordnung vgl. Matthiesen, Martyniuk & Dekker, 2011, S. 327; Hill, 2011, S. 393). Wirkungsforschung stellt unmittelbar nur Korrelationen, aber keine Kausalitäten fest, so dass auch keine einseitige Wirkung von Pornographie, sondern nur Zusammenhänge nachgewiesen werden können (vgl. Hill, 2011, S. 382, 393). So zeigt eine Studie von Peter und Valkenburg (vgl. 2007, S. 392) einen Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit sexualisierten Medien und einer stärkeren Vorstellung der Frau als Sexobjekt auf. Solchen Annahmen stehen Studien gegenüber, die keinen Zusammenhang zu bestimmten Verhaltensweisen oder Einstellungen aufzeigen können. Beispielsweise liegt es nach Štulhofer, Schmidt und Landripet (vgl. 2009, S. 20) nahe, dass der Konsum von Pornographie keinen Einfluss auf die Intimität und die Zufriedenheit mit dem Sexualleben in der gegenwärtigen Beziehung und die Vorstellung von guter Sexualität hat. Neben der Wirkungsforschung, die danach fragt, wie Pornographie auf Menschen wirkt, gibt es die Nutzungsforschung, die in den Blick nimmt, was Menschen mit Pornographie tun (vgl. Attwood, 2005). Die empirischen Befunde der Nutzungsforschung ermöglichen, ein differenziertes Bild der komplexen Formen der Nutzung von Pornographie, ihrer Gründe und ihrer Bedeutungen für die Konsument_innen zu zeichnen (vgl. Matthiesen et al., 2011, S. 327-328). Beispielsweise wurde herausgearbeitet, aus welchen Gründen sich junge Frauen weniger aktiv für Pornographie interessieren (vgl. Matthiesen et al., 2011, S. 336-338) und dass „Jugendliche die virtuelle Welt der Pornos und ihre reale Sexwelt klar auseinander[halten]“ (Schmidt & Matthiesen, 2011, S. 375-376). [5]