Feministische Filmtheorien erforschen Kino als kulturelle Institution und untersuchen vor allem seine geschlechtsspezifischen Repräsentationsstrategien, seine Subjektivitätskonzepte und seine geschlechterdifferenten Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Zum Einsatz kommen dabei analytische Ansätze des Poststrukturalismus wie Semiotik, Psychoanalyse, Dekonstruktion und Diskuranalyse, aber auch ethnografische oder soziologische Modelle, welche die Geschlechterlogiken und -codierungen des Films sowie ihre Koinzidenz mit anderen Medien und kulturellen Phänomenen zu beschreiben ermöglichen. [1]
Die ersten feministischen Filmtheorien wurden von der sogenannten zweiten Frauenbewegung in den 1960er Jahren initiiert. Politisch engagierte Filmemacherinnen und -kritikerinnen hinterfragten von Männern imaginierte Frauenbilder im Hollywood-Film. Von 1972 bis 1975 erschien eine Reihe von Filmen zu dieser Problematik (z.B. Growing Up Female, Janie’s Janie, Three Lives), wurden erste feministische Studien verfasst (Rosen, 1973; Johnston, 1973) und die Zeitschrift „Women and Film“ gegründet. In Deutschland wurde 1974 die Zeitschrift „Frauen und Film“ ins Leben gerufen. Zu Beginn etablierten sich zwei analytische Perspektiven: eine soziologische und eine theoretische. Die soziologische Perspektive konzentrierte sich auf Geschlechterpräsentationen und -stereotype und forderte ‚realistische‘ Frauenbilder im Film ein. Ihr wurde von den Vertreter_innen der theorieorientierten feministischen Filmwissenschaft vorgeworfen, patriarchale Bilder fortzuschreiben. Forscherinnen wie Claire Johnston (1999) beschrieben die Frau als Differenzfigur und plädierten für das sogenannte Gegen-Kino (Counter-Cinema), das sich gegen die patriarchale Bildlichkeit des populären Erzählkinos wendet. Sie entwickelten mit Hilfe der Psychoanalyse dekonstruktivistische Verfahren, die vor allem das Zusammenspiel von Präsentation, Begehren und Blick analysierten. Obwohl psychoanalytische Verfahren aufgrund der Abkoppelung vom sozial-historischen Kontext kritisiert wurden, entwickelten sie sich weiter (z.B. in Fantasientheorien bei Cowie, 1997) und bestehen bis heute fort (z.B. Bronfen, 1999). [2]
style="text-align: justify;" />Eine der prominentesten Vertreter_innen der psychoanalytischen Perspektive ist Laura Mulvey (1975), deren Beitrag „Visuelle Lust und narratives Kino“ (1975) bis heute zu den meistzitierten Aufsätzen der Filmwissenschaft gehört. Das klassische Hollywood-Kino befriedigt nach Mulvey die Skopophilie (vorsprachliche Schaulust). Populäre Filme sind auf männliche Zuschauer ausgerichtet, die durch die gesamte Kinoapparatur und -ästhetik als Träger eines aktiven, voyeuristischen Blicks adressiert werden, während Frauen als passive Objekte ihrer Blicke fungieren. Die Filme kreisen um den Kastrationskomplex, den nach Sigmund Freud (1856-1939) die Frau verkörpert und der im Kino auf zwei Weisen abgewehrt werden kann: Beim sadistischen Szenario wird das Trauma der Kastration erneut durchlebt, indem die Frau als ‚kastriert’, also als mangelhaft entlarvt und dafür bestraft wird. Im voyeuristischen Szenario wird die Kastration durch die Fetischisierung der Frau, durch ihre Schönheit, überspielt. Mulvey (1975), wie auch später Butler (1997), plädiert dafür, die etablierte Illusionsästhetik Hollywoods zu stören, um die geschlechtlich asymmetrischen Blickverhältnisse zu durchbrechen. Dem Vorwurf der Ausblendung der weiblichen Filmrezeption begegnet Mulvey (1999) mit der Theorie der transvestitischen Position der Zuschauerin, die sich den männlichen Blick aneignen kann. Eine weitere Vertreterin der psychoanalytischen Filmtheorie, Mary Doane (1994), erklärte weibliche Filmrezeption über die Maskerade (vgl. Riviere, 1994), welche Nähe und Distanz zum Bild regelt und dadurch die transvestitische Position der Zuschauerin um diejenigen der masochistischen und narzisstischen erweitert. Mulveys Aufsatz (1975) initiierte zudem eine Theoretisierung des homoerotischen Blicks auf Männer im Film (Willemen, 1976) sowie ihrer Position als Objekt der Schaulust (Rodowick, 1982). Der erotische Blick auf Männerkörper wird einer Analyse Steve Neales zufolge (1980; 1993) deplatziert, indem er einerseits auf Frauenfiguren umgeleitet und andererseits mit Gewalthandlungen verbunden wird. [3]
Diesen theoretischen Auseinand"rsetzungen folgten feministische und gendertheoretische Studien zu Raum, Zeit und Klang im Film (Silverman, 1984; Penley, 1990), zur Konstruktion von Mütterlichkeit (Brauerhoch, 1996), Männlichkeit (Silverman, 1992; Cohan & Hark, 1993; Jeffords, 1994) und Cyborgs (Bergstrom, 1991; Kirkup, Janes, Woodward & Hovenden, 2000). Einer der am häufigsten untersuchten Forschungsgegenstände der feministischen Film Studies ist der konstitutive Wechselbezug von Genre und Gender (Liebrand & Steiner, 2004); in diesem Zusammenhang erschienen Studien zum Horror-Genre (Clover, 1992), Actionfilm (Tasker, 1993) oder zum Musikfilm (Braidt, 2008). Steve Neale (1980) verwies in seiner dekonstruktivistischen Studie auf die genrespezifische Balance der Geschlechter im filmischen Signifikationssystem. So verkörpern Frauenfiguren in ‚männlichen‘ Genres wie dem Western durch ihre marginale Position die Erotik der Männerfiguren. In Melodramen und Musicals werden männliche Helden aufgrund der erotischen Körperchoreografien hingegen ‚verweiblicht‘. Linda Williams (1991) begründet in ihrer psychoanalytischen Theorie der Body Genres die Verknüpfung von Genre und Gender über ‚Urfantasien’ (Laplanche & Pontalis, 1986), die für die Subjektwerdung als konstitutiv erscheinen. Zu den Body Genres gehören Melodrama, Horror und Pornografie, die jeweils Ursprungs-, Kastrations- und Verführungsfantasien und entsprechende Gender-Konstellationen bedienen. Sie reproduzieren dabei wiederholt körperliche Exzesse (jeweils Trauer, Angst und Erregung) und zwingen das Publikum zumindest zu einer partiellen Mimikry dieser Gefühle. [4]
Die psychoanalytische Perspektive wurde im Laufe der 1980er"und 1990er Jahre thematisch und methodisch vervielfältigt. Durch die Cultural Studies der Birmingham School gewann der historische Kontext in den Analysen an Bedeutung. So wurde die weibliche Filmrezeption entweder empirisch erforscht (Hobson, 1982; Modleski, 1982), oder ethnographische Untersuchungen ergänzten die psychoanalytische Perspektive: Der Film wird etwa als Produkt und Quelle kultureller Aushandlungsprozesse beschrieben, die zwischen dem patriarchalischen Symbol ‚Frau’ und der sozio-historischen Erfahrung ‚realer’ Frauen zirkulieren (Gledhill 1987, 1999; Stacey 1994). Koch (1984) akzentuiert die vorsymbolische, mimetisch-körperliche Filmrezeption der Zuschauerin. Auch philosophische Konzepte der ästhetischen Wahrnehmung gewinnen an Bedeutung (Schlüpmann, 1998). In Bezug auf die weibliche Filmrezeption wurden zudem die Filmgeschichte revidiert (Hansen, 1983; Schlüpmann, 1990) und historische Bedingungen der Formierung weiblicher Rezeption untersucht (Bean & Negra, 2002). [5]
Neue Impulse"gewann die Filmtheorie vor allem durch postkoloniale und queere Perspektiven. Im Zuge der postkolonialen Kritik wurden die Verklammerung von Gender und Race wie auch der Blick der schwarzen Zuschauerin problematisiert, der aufgrund des Mangels an Identitätsangeboten als Opposition zu hegemonialen Repräsentations- und Blickstrukturen konzipiert wurde (hooks, 1992; Bobo, 1988). Kaplan (1997) untersucht Strategien der Unterwanderung des kolonialen Blickes (inter-racial looking) bei feministischen britischen Filmemacherinnen wie Pratibha Parmar oder Trinh T. Minh-ha, die die Ethnizität in einem nie abschließbaren Werdungsprozess zeigen. [6]
Queer-Theorien beschreiben die filmische Praxis der Herstellung lesbischer od"r schwuler Subjektivität im Film (z. B. Lauretis, 1994) oder verwenden die Filme für Kulturanalysen, die über das Filmische selbst hinausragen (Halberstam, 1995; Edelman, 2004). Eine intersektionale Perspektive auf den Film entwickelte Judith Butler bereits 1993 (1997) in ihrer Analyse von Paris is burning, indem sie auf identitäre Paradoxien durch die Verschränkung von Klasse, Geschlecht und Ethnizität hinwies und die Rolle der filmischen Präsentationen in der Herstellung queerer Subjektivität diskutierte. [7]