Pansexualität leitet sich aus dem griechischen Wort παν (gesamt, ganz, alles) ab und beschreibt eine sexuelle Orientierung, die eine Offenheit in der Partner_innenwahl beinhaltet. In Abgrenzung zu psychiatrischen Verwendungsweisen, die in pansexuellem Verhalten und Denken eine Persönlichkeitsstörung sehen, wird Pansexualität in queer-feministischen Debatten als subversiver Handlungsraum in heteronormierten Umwelten verstanden. In einem sozialwissenschaftlichen Kontext ist das Konzept der Pansexualität bisher deutlich unterbelichtet. [1]
In der psychoanalytischen Psychiatrie tritt der Begriff der Pansexualität nach Kernberg (1967) als Symptom für ein Borderline-Syndrom auf. So wird ein männlicher Borderline-Patient angeführt, der „heterosexual and homosexual promiscuity with sadistic elements“ zeigt. „The ‚pansexuality‘“ zeigt sich in „polymorphous perverse sexual trends“ (Kernberg, 1967, S. 681) und wird als (zu heilendes) Krankheitsbild pathologisiert, da sie nicht (nur) heterosexuellen, koitalen Verkehr zum Gegenstand hat. Deleuze (2004) kritisiert solche Klassifizierungen von Begehren in ‚normal‘ und ‚abnormal‘ und verneint die bei Kernberg implizite Vorstellung der Fixierbarkeit von Begehren (vgl. auch Conley, 2009; Butler, 1991). Spätere psychoanalytische Arbeiten buchstabieren Begehren in der Tradition des Triebbegriffes von Freud neu aus, indem sie eine Pathologisierung von ‚polymorphen Perversionen‘ zu überwinden versuchen (vgl. Quindeau, 2008). [2]
In einem queer-politischen Zusammenhang wird Pansexualität als Gegenkonzept zur ‚Natürlichkeit‘ heterosexueller Zweierbeziehungen verstanden. Ähnlich wie dem Begriff queer (Kraß, 2003; Degele, 2008) liegt auch dem der Pansexualität eine gewollte Unbestimmtheit, eine „fluidity in sexual orientation and gender expression“ (Lenius, 2011, S. 424) zugrunde. In dieser Perspektive auf Pansexualität werden dichotomisierende Kategorien von sex, gender und Sexualität bzw. Begehren abgelehnt (Myers, 2009). Pansexualität ist so gegen Bisexualität abzugrenzen, welche zwar die Wahl zwischen zwei Geschlechtern bzw. Geschlechtspartner_innen transportiert, letztlich aber die binäre Mann/Frau-Opposition sowie die vermeintliche Kohärenz von sex und gender nicht in Frage stellt (Myers, 2009, S. 422). Häufig wird Pansexualität als Polyamorie (‚Viel-Liebe‘) (miss-)verstanden, wobei letztere sich auf den Bereich intimer Beziehungen und die Anzahl der beteiligten Partner_innen bezieht (Herbert, Radeva & Zika, 2013) und einen alternativen L(i)ebensentwurf zur Monogamie bzw. Monoamorie darstellt. Im Unterschied zum pansexuellen Konzept wendet sich Polyamorie nicht zwangsläufig gegen Vereindeutigungen von Geschlecht und Geschlechtsidentitäten. [3]
In feministischen Debatten wird Pansexualität als Möglichkeit der Überwindung des genitalen Koitus verstanden, welcher in erster Linie der Lustbefriedigung des Mannes diene. Damit sollen nicht nur männliche Privilegien, „sondern die Geschlechtsunterschiede selbst“ (Pop, 2007, S. 49) beseitigt werden. Firestone (1975) bezeichnet das Konzept der Pansexualität als natürliche Sexualität, durch welche die Tyrannei der „biologischen Kleinfamilie“ (Pop, 2007, S. 50) als Ort der Unterdrückung von Frauen (und Kindern) zugunsten frei wählbarer Wohngemeinschaften und künstlicher Fortpflanzung abgeschafft werden soll. Preciado (2003) versteht in ihrem „kontrasexuellen Manifest“ geschlechtsbefreite Körper als „Destabilisierung des heterozentristischen Systems“ (Preciado, 2003, S. 23-24) und kündigt die Überwindung von Homo/Hetero-Mann/Frau-Polaritäten als Grundlage eines neuen Gesellschaftsvertrages an. Diesen Gesellschaftsvisionen wird unterstellt, ein gesellschaftlich bislang nicht durchsetzbares „everything goes“ der Postmoderne zu versprechen (Timmermanns, Tuider & Sielert, 2004, S. 121) oder, in dem Wunsch nach Beseitigung geschlechtlicher Eindeutigkeit, gar „unfeministisch“ (Jagose, 2001, S. 14) zu agieren. Aus körper- und geschlechtersoziologischer Sicht ist zu fragen, wie pansexuelle Menschen im Rahmen einer naturalisierten, scheinbar stabilen Geschlechterdifferenz ihre eigenen oder andere Körper überhaupt entgeschlechtlicht wahrnehmen bzw. Begehren ohne kulturell geformte Dichotomien zu denken ist (Butler, 1997; Villa, 2006; Lindemann, 1993). [4]
Die im Konzept selbst angelegte Unmöglichkeit einer eindeutigen Definition führt zu ethischen und wissenschaftlichen Herausforderungen. Pansexualität kann sich auf sexuelle Kontakte mit erwachsenen Menschen, aber auch mit Tieren oder Maschinen beziehen bzw. kann als Befreiung unterdrückter Sexualität von Kindern gemeint sein. Die Wahrung der „Individualität des Anderen“ (Poole, 2004, S. 141) kann nur eine erste Grenzziehung für ethische Debatten sein. Ebenso kann eine wiederholte Unterscheidung von ‚normal‘ und ‚abnormal‘ zu neuen Pathologisierungen und Ausschlüssen führen, wie bei Kernberg (1967) geschehen. Fraglich ist daher, ob sich der Pansexualitätsbegriff in der (sozial-)wissenschaftlichen Diskussion überhaupt durchsetzen wird. Im Sinne von Muñoz‘ (2009) Definition von queer als utopischer Praxis könnte auch Pansexualität nicht als vollständig anzueignendes und umsetzbares Konzept verstanden werden, aber als politischer Zukunftsraum eine nicht-heteronormierte Vision von Gesellschaft im Jetzt zur Diskussion stellen. [5]