Die Bezeichnung Geschlechterdispositiv basiert auf dem Dispositivbegriff, wie er von dem Philosophen und Historiker Michel Foucault (1926-1984) eingeführt wurde. Er definiert das Dispositiv als ein „heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst“ (Foucault, 1978, S. 119-120). Die Verbindungslinien zwischen diesen Elementen – ein Konglomerat von machtvollen Praktiken – machen nach Foucault das Dispositiv aus, wie er es anhand des Sexualitätsdispositivs beschrieben hat (Foucault, 1977). Geschlecht wird diesem dispositivtheoretischen Verständnis nach als gesellschaftliche, kulturelle Praxis hervorgebracht gedacht und als Wirkung eines „Machtbeziehungsbündels“ (Lorey, 1999, S. 94) von Subjektivierung, Diskursivierung und Materialisierung verstanden. [1]
Der Begriff des Geschlechterdispositivs bezieht sich auf die diskursive Konstruktion von Geschlecht unter gewissen historischen und kulturellen Bedingungen und beschreibt das strategische Funktionieren einer Ordnung der Geschlechter. Das Geschlechterdispositiv umfasst das machtvolle Zusammenspiel von hegemonialen Geschlechternormen in Gestalt von gesellschaftlich-kulturellen Leitbildern (Diskursen), von institutionellen Regelungen wie Geschlechtsrollenverteilungen (Institutionen), von vergeschlechtlichten Praktiken (Praxis) im Sinne des doing gender und von geschlechtlichen Identitätsangeboten (Subjektivität) (vgl. Foucault, 1978, S. 119). Im Mittelpunkt des Geschlechterdispositivs stehen Machteffekte verbunden mit der Frage, wie sich ,Geschlecht‘ als diskursive Praxis in einem Netz von Institutionen, Gesetzen, Spezial- und Alltagsdiskursen etc. formiert und strategisch etabliert und wie Subjekte in diesem komplexen Zusammenspiel als ,Frauen‘ und ,Männer‘ hervorgebracht werden. [2]
Das Geschlechterdispositiv ist „in ein Spiel der Macht eingeschrieben“ (Foucault, 1978, S. 123), das mit der Erzeugung von allgemein geteiltem, gültigem Wissen über Zweigeschlechtlichkeit verbunden ist. Die biologische Wahrheit zweier Geschlechter ist Effekt des Geschlechterdispositivs und seiner diskursiven Wahrheitspolitiken. Daran anknüpfend konstatiert Bührmann (2004), dass das Wissen um die biologische Zweigeschlechtlichkeit ein machtvolles ist, das sich über Naturalisierungen zu einer ‚Wahrheit‘ im Sinne einer nicht zu hinterfragenden, machtvollen Naturhaftigkeit, einer ontologischen Differenz, etabliert, die wiederum das Geschlechterverhältnis reguliert. Durch diese normative hegemoniale Geschlechterordnung werden die Erfahrungen als geschlechtliches Subjekt ermöglicht, wird die Wahrnehmung dem geschlechtlich Intelligiblen entsprechend strukturiert (vgl. Butler, 1991, S. 38) und der geschlechtliche Körper materialisiert (vgl. Butler, 1997), indem die Subjekte als geschlechtliche entlang der „kulturelle[n] Matrix“ (Butler, 1991, S. 38) (der Kohärenz und Kontinuität von sex, gender und Begehren) adressiert und positioniert werden.[3]
Mit dem Begriff Geschlechterdispositiv werden die machtvollen Techniken und Strategien in den Blick genommen, die die Herstellung von Geschlecht entsprechend einer reglementierenden Praxis der Geschlechternormen anleiten und regulieren oder aber abwehren und hindern (vgl. Bührmann, 1998, S. 78). Machtstrategien wie die der Naturalisierung und Biologisierung verbinden sich mit Wissenstypen wie dem der polarisierenden Binarität zu einem Effekt, welche das Geschlecht als ‚wahre‘, im Sinne einer naturhaften, essentiellen, biologisch verankerten Geschlechterdifferenz herstellen. Das gesamt dispositive Netz wird von Naturalisierungsstrategien durchzogen, die als ‚strategische Imperative‘ der Geschlechterpolarisierung die zweigeschlechtliche ‚Wahrheit‘ zementieren. Die darin durch das Geschlechterdispositiv wirkenden Normalisierungsmechanismen bringen die Grenzen, die Ausschlüsse hervor, die entsprechend der gender matrix des hegemonialen Geschlechterdiskurses Sagbarkeits- und Machbarkeitsfelder abstecken. Dem Geschlechterdispositiv kommt damit die Funktion zu, die Gesellschaft entlang von Geschlechtersignifikationen, geschlechtlichen Anrufungen, diskursiven Vergeschlechtlichungspraxen, Gegenständen, institutionellen Vereinbarungen und Reglements zu ordnen, zu normalisieren und zu hierarchisieren. Es besitzt die Funktion, den Einzelnen / die Einzelne geschlechterstrategisch zu regieren. Damit liefert das Geschlechterdispositiv eine verdichtete Antwort auf den aktuellen historisch-kulturellen sowie körperlich-materialisierten, „durch Repräsentationsstrukturen erzeugten Sinneffekt“ (Hark, 2001, S. 354) von Geschlecht. Als ein spezifisches Gefüge einer Zeit reguliert und normalisiert das Geschlechterdispositiv als „Wissens-Apparat“ (Jäger, 2006, S. 92) die Geschlechterordnung, in der aus Individuen (zwei)geschlechtliche Subjekte werden. [4]
Durch den Zusammenhang und die wechselseitige Vermitteltheit von normierenden Geschlechterordnungen, Herrschaftsstrukturen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen (vgl. Bublitz, 2001) mit geschlechtlichen Existenzweisen (Maihofer, 1995) und körperlicher Materialisierung (Butler, 1997) stellt das Geschlechterdispositiv auch eine Analyseeinheit dar (Bührmann, 2004), die sich für eine empirische Forschung im Sinne einer relationalen Machtanalytik öffnet (Bührmann & Schneider, 2008). Auch im Sinne einer Heuristik konzentrieren sich die Schauplätze dieser durch Wahrheitspolitiken regulierten Kräfteverhältnisse (vgl. Weedon, 1990) auf die Subjektivität, auf die diskursive als auch nicht-diskursive Praxis sowie auf die materialen Vergegenständlichungen (Bührmann & Schneider, 2008, S. 56-60). Als eigenständige transdisziplinäre Forschungsperspektive (vgl. Caborn Wengler, Hoffarth & Kumiega, 2013) mit einem methodologisch ausdifferenzierten Forschungsstil (Bührmann & Schneider, 2008) nimmt die dispositivanalytische Vorgehensweise weniger die jeweiligen Entitäten in den Blick als vielmehr die Art der Verbindungen zwischen den jeweiligen Elementen (vgl. van Dyk 2013; vgl. Schneider & Hirseland, 2005), indem „die Einheit eines Dispositivs […] als Funktion seiner Wirkung rekonstruiert [wird] (Traue, 2014, S. 125) So richten eine Reihe von Studien ihren dispositivanalytisch gewendeten Blick (Bührmann & Schneider, 2013) auf die Korrelationen von institutionalisierten Geschlechter(re-)produktionen und körperlichen Materialisierungen und Subjektivationen im kulturwissenschaftlichen (vgl. Paulus, 2012), im pädagogischen (Hoffarth, 2013; Jäckle, Schnell, Schneider & Eck, i.E.) und im medialen Feld (vgl. Gille, 2012). [5]