Gender Mainstreaming ist eine gleichstellungspolitische Strategie, die daraufhin ausgerichtet ist, sämtliche Entscheidungen in einer Organisation kritisch auf ihre Auswirkungen auf die von geschlechterbezogenen Ungleichheiten unterschiedlich geprägte Lebensrealität von Frauen und Männern zu überprüfen und diesbezüglich bestehende Differenzen abzubauen. Diese Strategie beinhaltet nach der viel zitierten Definition des Europarats folgende Elemente: “Gender mainstreaming is the (re)organisation, improvement, development and evaluation of policy processes, so that a gender equality perspective is incorporated in all policies at all levels and at all stages, by the actors normally involved in policy-making“ (Council of Europe, 2014). Die Entwicklung der Strategie geht auf die internationale Frauenbewegung und ihre Erfahrungen mit der Entwicklungspolitik zurück (Mense, 2010, S. 83-84; Stiegler, 2010, S. 934). Als verpflichtende Empfehlung wurde das Begriffspaar Gender Mainstreaming erstmals im Abschlussdokument der Aktionsplattform der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 verankert und von den Vereinten Nationen übernommen (United Nations, 1995; Mense, 2010, S. 84; Cordes, 2010). Die Europäische Union nahm Gender Mainstreaming 1997 / 1999 in den Amsterdamer Vertrag auf. Durch die Unterzeichnung des Vertrages ist Gender Mainstreaming in der BRD für alle Bereiche der Bundespolitik und der Bundesverwaltung verbindlich (Bock, Matthies, Riegraf & Zimmermann, 2005, S. 173). Implementiert ist die Strategie vor allem im öffentlichen Sektor, weniger in der Privatwirtschaft. In letzterer findet Gleichstellung vor allem im Zusammenhang mit Diversity Management Anwendung (Cordes, 2010, S. 929). Um die Jahrtausendwende wurde Gender Mainstreaming als Strategie mit einem hohen transformativen Potential wahrgenommen. Jedoch trat etwa ab Mitte der 2000er Jahre eine „Phase der Ambivalenz und Ernüchterung“ (Sauer, 2014, S. 38) ein, die bis heute andauert. Die Implementierung verlaufe schleppend und nach 15 Jahren betrachten vor allem auf nationaler Ebene Organisationen und öffentliche Behörden Geschlecht nach wie vor nicht als relevante Kategorie (Sauer, 2014, S. 38) [1].
Zielgruppe von Gender Mainstreaming sind alle Angehörigen einer Organisation. Durch die Verwendung des Gender-Begriffs werde anerkannt, dass „alle politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Strukturen die Handlungsmöglichkeiten von Männern und Frauen beeinflussen“ (Stiegler, 2010, S. 933). Gleichzeitig wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Frauen und Männer in der Gesellschaft nach wie vor unterschiedliche Teilhabechancen besitzen (Gildemeister & Robert, 2008), da durch die Geschlechtszugehörigkeit, und mit dieser verbunden, bestimmte Zuschreibungen, soziale Institutionen und Organisationen grundlegend strukturiert und hierarchisiert werden (Acker, 1990; Berghahn, 2011, 2011; BMFSFJ, 2011; Gildemeister & Robert, 2008; Herrmann, 2014; Müller, Riegraf & Wilz, 2013). Gender Mainstreaming setzt beim Hinterfragen und systematischen Reflektieren von impliziten Geschlechterneutralitätsnormen an (Beispiele aus der Praxis s. Blickhäuser & von Bargen, 2009, z. B. S. 36-39). Diesen Normen liegt etwa die Annahme zugrunde, dass Personalentscheidungen zumeist ohne Ansehen des Geschlechts oder der sozialen Herkunft einer Person getroffen werden. Die Reflexion dient der Entwicklung entsprechender Maßnahmen (Schambach & von Bargen, 2004). [2]
Kritik an Gender Mainstreaming wird erstens an dessen geringer Spezifizierung der Ziele sowie an der rationalen Logik des Implementierungsprozesses geübt (Meier & Celis, 2011, S. 471; Bereswill, 2004, S. 52-53). Zweitens wird befürchtet, dass durch die Behandlung von Gleichstellungsfragen als Managementaufgabe Gleichstellung anschlussfähiger an eine ökonomische Semantik wird (vgl. Meuser, 2009, S. 98) und zu einer Individualisierung von Gleichstellungspolitik führt, welche die strukturellen Ursachen von Ungleichheit ausblendet (Soiland, 2009, S. 38). Drittens birgt der Anspruch, nahezu alle Akteur_innen einer Organisation in die Implementierung von Gender Mainstreaming einzubeziehen, die Gefahr einer Überforderung (Bereswill, 2004, 60-61), da sie eine Strategie ist, die Genderkompetenz voraussetzt und die eines spezifischen Wissens bedarf (vgl. Mense, 2010, S. 86; Wegrzyn, 2014). Viertens kann Gender Mainstreaming bestehende stereotype Geschlechterbilder verfestigen, indem z. B. die Situation ‚der‘ Frauen oder ‚der‘ Männer in den Blick genommen wird (Wetterer, 2005), oder wenn es darum geht, die Potentiale ‚der‘ Frauen zu nutzen (Meuser, 2009, S. 100). Ergebnisse einer empirischen Studie zur Wirkung gleichstellungspolitischer Maßnahmen zeigen, dass eher ohnehin privilegierte Gruppen in Organisationen einen Nutzen aus entsprechenden Maßnahmen ziehen (Lanfranconi, 2014, S. 105). [3]
Da Gender Mainstreaming auf die internationale Frauenbewegung und auf ihre Forderung nach Gerechtigkeit zurückgeht, kann man das Anliegen grundsätzlich als im Kern emanzipatorisch beschreiben (vgl. Braunmühl, 2009). Gender Mainstream bietet die Möglichkeit, gleichstellungspolitische Anliegen wie ein „trojanisches Pferd“ (Woodward, 2001, S. 3) in Organisationen einzubringen, das heißt, deren Entscheidungsprozesse und Logiken gezielt zu nutzen. Die Umsetzung von gleichstellungspolitischen Strategien, dies zeigen aktuelle Studien und Handbücher, die auf Erfahrungswissen von Gleichstellungsakteur_innen gründen, ist zwar sehr voraussetzungsreich im Hinblick auf die benötigten Kompetenzen und Ressourcen, kann aber, wenn auch sukzessive, zu Erfolgen führen (Stiegler, 2012; Sauer, 2014; Feldmann, Erbe, Goldmann, Kuhl, Roski & Schacherl, 2014; Blome, Erfmeier, Gülcher & Smykalla, 2013). [4]