In der Feministischen Rechtswissenschaft wird davon ausgegangen, dass es geschlechtsneutrales Recht, das für alle gleich gilt und sich auf alle gleich auswirkt, nicht gibt (vgl. MacKinnon, 1987, S. 34). Sie thematisiert Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts, die vom Rechtsdiskurs legitimiert oder hergestellt, legalisiert und mit Zwangsgewalt ausgestattet werden, ebenso wie rechtliche Mittel und Strategien, die zur Überwindung dieser Ungleichheiten nutzbar gemacht werden können (vgl. Baer, 2010a, S. 555). Feministische Rechtswissenschaftler*innen (und -praktiker*innen) eignen sich dabei den patriarchalen Rechtsdiskurs und seine Instrumente an und unterwerfen sich zumindest teilweise und skeptisch seiner Autorität. Bezeichnungen wie „Legal Feminism“ (Frug, 1992; Scales, 2006), „Feminist Legal Theory“ (Bartlett & Kennedy, 1991; Weisberg, 1993) oder „Feministische Rechtswissenschaft“ (Greif & Schobesberger, 2007; Foljanty & Lembke, 2012) bzw. „Feminist Jurisprudence“ (Smith, 1993) verweisen auf ein politisches respektive parteiisches Selbstverständnis und betonen den Zusammenhang von Frauen*bewegungen und der (Un-)Rechtsrealität von Frauen* als Ausgangspunkt von Forschung. Auch weniger wertende Bezeichnungen wie „Legal Gender Studies“ (Holzleithner, 2002; Büchler & Cottier, 2012) oder „Gender Law“ sind mittlerweile üblich, um das erweiterte Spektrum rechtswissenschaftlicher Beschäftigung mit Vergeschlechtlichungen durch Konzepte, Figuren, Rechtsnormen und Konventionen hervorzuheben. [1]
Alle feministisch-rechtswissenschaftlichen Ansätze teilen das Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit (vgl. Holzleithner, 2008a, S. 5; Baer, 2001, S. 44). Die gängige Einteilung in radikale, liberale, differenztheoretische feministische Strömungen und Studien zum Recht orientiert sich v. a. an US-amerikanischer, im deutschsprachigen Raum stark rezipierter Literatur (vgl. Baer, 2009, S. 21). Ob Recht geschlechterdemokratisierend eingesetzt werden kann, ist umstritten (vgl. Arioli, Cottier, Farahmand & Küng, 2008); Wendy Brown (1995) und Judith Butler (1997a) lehnen Recht als Mittel und Strategie feministischer Politik ab, etwa gegen hate speech oder Pornographie (vgl. Baer, 1998), da es sich nicht um eine neutrale Instanz, sondern um ein Instrument hegemonialer Machtausübung handle, das Frauen* als schutzbedürftige Subjekte hervorbringe (vgl. Brown, 1995, S. 131). Der Kampf um gleiche Rechte sei nicht nur entpolitisierend und individualisierend, sondern gehe auch mit einer Akzeptanz staatlich vermittelter Herrschaftsverhältnisse einher (vgl. Brown, 1995, S. 105, 124). Andere Rechtskritiker*innen lehnen den Einsatz von Recht bzw. das Kämpfen um Rechte nicht ab, sondern nur deren Genese, Form und Struktur (vgl. MacKinnon, 1989, S. xiii; Kapur, 2006, S. 682), denn Rechte zu haben sei eine grundlegende Form der Anerkennung: „Wer Rechte hat, zählt“ (Holzleithner, 2008b, S. 256). [2]
Ab den 1970er-Jahren forderten Feminist*innen, Geschlecht als rechtliches Unterscheidungskriterium abzuschaffen: Männer* und Frauen* seien gleich und daher auch grundsätzlich gleich zu behandeln. Differenzierende Regelungen sollten nur dann zulässig sein, wenn sie an körperliche Unterschiede anknüpfen, bspw. bei Schwangerschaft, nicht aber bei gesellschaftlich geprägten Ungleichheiten wie u. a. in der Verteilung von Zuständigkeiten in der Reproduktionsarbeit (vgl. Williams, 1993; Kay, 1993). Beim darauf erfolgten Abbau von Diskriminierungen wurden Männer* implizit als die (einander) Gleichen und damit als Norm konstruiert (male bias). Für Frauen* war Gleichheit nur um den „Verlust von ‚Weiblichkeit‘“ (Holzleithner, 2008a, S. 6) möglich. Seit den späten 1980er- und 1990er-Jahren versuchen feministische Rechtswissenschaftler*innen daher, der soziokulturellen Lebenswirklichkeit von Frauen* gerecht zu werden (vgl. Dahl, 1992; Littleton, 1993; Minow, 1993), um tatsächliche Gleichstellung zu realisieren: Gerechtfertigt und notwendig schienen spezifische Mutterschutzregelungen, Frauen*förderung und Quotierung (affirmative actions) (vgl. Holzleithner, 2008a, S. 7–12; Wrase & Klose, 2012, S. 90–92). Verfassungsrechtliche Gleichheitsgebote, die u. a. Grundlagen für affirmative actions sind, gelten in feministischen Interpretationen als Dominierungs- bzw. Hierarchieverbote (vgl. Baer, 1995, S. 237; Sacksofsky, 1996, S. 312; MacKinnon, 2011; Adamietz, 2011). [3]
Eine bedeutende Stellung innerhalb der feministischen Rechtswissenschaft besitzen Fragestellungen und Forschungen zur Differenz in der Gleichheit bzw. zur Gleichheit in der Differenz (vgl. Maihofer, 1995, S. 156–173; Gerhard, 1990), wie etwa der Umstrukturierung der Rechtsordnung zu einem Frauen*recht aus Frauen*perspektive (vgl. Baer, 2009, S. 26–29). Tove Stang Dahl (1992) fordert ein abstammungs-, reproduktions- und sozialrechtliche Aspekte vereinendes ‚Geburtenrecht‘ wie auch ein ‚Hausfrauenrecht‘, in dem arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Aspekte aufgehen. Mit dieser Orientierung an Lebensverhältnissen von Frauen* wird die konventionelle Aufteilung in öffentliches und privates Recht grundlegend in Frage gestellt. Als Dilemma der Differenz bzw. feministisches Dilemma wird der Umstand bezeichnet, dass es bei geschlechtsspezifischen Fördermaßnahmen zu Generalisierungen kommt und Stereotype fortgeschrieben werden (vgl. Minow, 1990, S. 19–20; Baer, 1996 S. 242; Cornell, 1991, S. 1–20; Minow, 1997, S. 30–84; Scott, 2005, S. 51–74; Holzleithner, 2008b, S. 252), bspw. in wissenschaftlichen und politischen feministischen Konzepten, die ‚weibliche Qualitäten‘ wie Empathie oder Fürsorglichkeit aufwerten (vgl. Gilligan, 1984, S. 158–184). Rechtliche Regelungen, die bspw. die Konzeption von Frauen*rechten als Menschenrechte, Frauen*förderungsmaßnahmen, die sozialrechtliche Anerkennung von Hausarbeit, das Antidiskriminierungsrecht oder die Verrechtlichung intimer homosexueller Beziehungen betreffen, rekurrieren auf traditionelle Geschlechterkategorien und -verhältnisse, aus denen sich wiederum Ungleichheiten ergeben. Partikularrechte wie Quotenregelungen reagieren zwar auf strukturelle Ungleichheiten, fixieren gleichzeitig jedoch Identitätskategorien, Stereotype und Stigmatisierungen wie bspw. die sog. Quotenfrau (vgl. Holzleithner, 1995; Foljanty, 2012; Ulrich, 2012). Ob es rechtsförmige positive Maßnahmen, die sich auf Kategorien beziehen, überhaupt ohne gleichstellungsfeindliche Nebeneffekte geben kann, ist umstritten (vgl. Rössler, 1993; Baer, 2010b). Neuere postkategoriale bzw. neokategoriale Ansätze legen den rechtsdogmatischen Fokus auf „Prozesse der Zuschreibung und Benachteiligung im Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen“ (Lembke & Liebscher, 2014, S. 262; vgl. auch Berger & Zilberszac, 2016, S. 97) und wollen so eine Essentialisierung vermeiden (vgl. Liebscher, Naguib, Plümecke & Remus, 2012). [4]
Forschungen der feministischen Rechtswissenschaft untersuchen Frauen* als rechtliche Akteurinnen*, den Zugang von Frauen* zum Recht (vgl. Baer, 2009, S. 25-26), die Auswirkungen von Recht auf das Leben von Frauen* durch das Gewaltschutz- und Strafrecht (vgl. Harzer, 2009; Lembke, 2012) oder durch das Steuerrecht bzw. Gender Budgeting (vgl. Spangenberg & Wersig, 2013). Rechtshistorische Studien verorten „Frauen in der Geschichte des Rechts“ (Gerhard, 1997). Andere Studien befassen sich mit Geschlechterverhältnissen in der Regulierung von Nahbeziehungen durch das Familienrecht (vgl. Callahan, 1995; Plett, 2004) und damit zusammenhängenden Fragen wie bspw. Leihmutterschaft (vgl. Cottier, 2014; 2016) oder Arbeitszeitregelungen (vgl. Scheiwe, 1993). Sowohl im Antidiskriminierungsrecht (vgl. Liebscher, 2012) als auch im Recht gegen sexuelle Belästigung (vgl. MacKinnon, 1979; Baer, 1995) wird die Kategorie Geschlecht im Zusammenwirken mit anderen Kategorien als „ossified outcomes of the dynamic intersection of multiple hierarchies“ (MacKinnon, 2013, S. 1023) analysiert und so das von Kimberlé Crenshaw (1991) geprägte und aus den Critical Race Studies stammende Konzept der Intersektionalität aufgegriffen (vgl. Crenshaw, 1991; Markard, 2009; MacKinnon, 2013). Dekonstruktivistische Konzeptionen der Gender Studies (vgl. Butler, 1991; 1997b) analysieren Identitäten als intersektionale Komplexitäten bzw. „kontradiktorische Subjektpositionen im Rahmen multidimensionaler Positionalität“ (Holzleithner, 2014, S. 112). Zentrale Anliegen queerer Rechtswissenschaftler*innen sind – im Sinne einer Entnaturalisierung und Dekonstruktion der binären Geschlechterordnung (vgl. Fineman, Jackson & Romero, 2009) – die Anerkennung von Trans*gender- und Intersex*personen im Namens- und Personenstandsrecht (vgl. Plett, 2007; Petričević, 2015), von sexuellen Orientierungen sowie eine antiheteronormative Transformation (queering) des Familienrechts (vgl. Büchler, 2001; Holzleithner, 2013). [5]
Feministische Rechtswissenschaft ist nicht allerorts Teil des rechtswissenschaftlichen Kanons. Obwohl Geschlecht in allen Rechtsgebieten eine Rolle spielt, arbeitet Rechtsdogmatik in der Regel nicht interdisziplinär (vgl. Baer, 2015, S. 54–56). Abseits universitärer Einrichtungen ist der seit 1974 jährlich stattfindende Feministische Juristinnen*tag zentraler Ort der Vernetzung (www.feministischer-juristinnentag.de), Wissensvermittlung und rechtspolitischer Diskussion deutschsprachiger Rechtswissenschaftler*innen und -praktiker*innen. Nicht nur die feministische Rechtszeitschrift STREIT, sondern auch das rechtspolitische Magazin Forum Recht sowie die Fachzeitschriften Kritische Justiz und juridikum widmen sich regelmäßig feministischen Themen. Neben Einführungs- und Überblicksliteratur (Verein ProFri, 2001; Holzleithner, 2002; Greif & Schobesberger, 2007; Büchler & Cottier, 2012; Foljanty & Lembke, 2012; Lembke, 2016; Bartlett & Kennedy, 1991; Frug, 1992; Weisberg, 1993; Smith, 1993; Scales, 2006; Albertson Fineman, Jackson & Romero, 2009) existieren eine ausführliche Sammlung feministischer Studien und Texte (Bleckmann, Puhr & Ottmann, 2004) sowie kommentierte Fall- und Quellensammlungen (Bowman, Rosenbury, Tuerkheimer & Yuracko, 2010; Büchler & Cottier, 2012; MacKinnon, 2016). [6]