Mit Elternzeit wird in Deutschland seit 2001 eine unentgeltliche, befristete Freistellung aus einem Arbeitsverhältnis zur Betreuung eines Kindes bezeichnet. Der Begriff ersetzte die bis dahin geltende Bezeichnung des Erziehungsurlaubs, die „die Kinderbetreuung und die Arbeit in der Familie mit der Vorstellung von Freizeit und Muße verknüpft[e]“ (Deutscher Bundestag, 2000, S. 1). Der Begriff Elternzeit impliziert dagegen eine mögliche Parallelität von Beruf und Familie (Müller-Heine, 2006, S. 58). Elternzeit umfasst gegenwärtig maximal 36 Monate pro Kind, die bis zum Erreichen des 8. Geburtstages des Kindes von den Berechtigten in Anspruch genommen werden können (BMFSFJ, 2018a, S. 17–30; BMFSFJ, 2018b, S. 12–13). Damit übersteigt die Elternzeit den Zeitraum des Anspruchs auf Elterngeld als staatliche Entgeltersatzleistung. Das sogenannte einkommensabhängige Elterngeld, das Arbeitnehmer*innen nur im Zusammenhang mit der Beantragung von Elternzeit gewährt wird und das seit 2007 das vormals bestehende Erziehungsgeld abgelöst hat (BMFSFJ, 2008, S. 5), ist ebenso wie die Elternzeit durch einen Rechtsanspruch geschützt. Regelungen zur Inanspruchnahme von Elterngeld und -zeit gelten für alle rechtlichen Eltern und sind nicht auf biologische Mütter und Väter beschränkt; sie gelten auch für Adoptivkinder, Kinder von Ehe- oder Lebenspartner*innen in eingetragener Partnerschaft sowie für Kinder, die in Vollzeitpflege in den Haushalt aufgenommen wurden (Fuchsloch & Scheiwe, 2007, S. 25). Die Regelungen zu Elternzeit und -geld wurden 2009 durch die Möglichkeit einer Großelternzeit und 2015 durch die Einführung des ElterngeldPlus erweitert. [1]
Die Debatte um Elternzeit in Deutschland reicht bis in die 1970er Jahre zurück. Während in der ehemaligen DDR die mütterliche Berufstätigkeit durch eine stufenweise Freistellung von Müttern für ein sogenanntes ‚Babyjahr‘ bei vollem Lohnausgleich und Sicherung des Arbeitsplatzes eingeführt wurde (Israel, 2017), kreiste die westdeutsche Diskussion der 1970er und 1980er Jahre um die außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Müttern kleiner Kinder, für die unterschiedliche Lösungen angeboten wurden: Einerseits ging es um den Ausbau familienexterner Unterstützungsleistungen zur Defamilialisierung und (Re-)Kommodifizierung von Müttern; andererseits darum, das Ausscheiden von Müttern aus der Erwerbstätigkeit im Interesse der Kindererziehung zu fördern, wie es durch das Erziehungsgeld vorgesehen war (Albers, 1976, S. 300; ausführlich Kolbe, 2002, S. 292–362). Die Einführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) (Deutscher Bundestag, 1986) im Jahr 1986 markiert nicht das Ende der kontrovers geführten familienpolitischen Auseinandersetzungen in Deutschland (Kolbe, 2002, S. 326–327), sondern kann als Entscheidung für ein Sorgearrangement im Sinne eines männlichen Ernährermodells mit weiblicher Haus- und Sorgearbeit betrachtet werden. Als im Jahr 2001 der Begriff Elternzeit den des Elternurlaubs ersetzte, wurde zeitgleich ein Rechtsanspruch auf Reduktion der Erwerbsarbeit eingeführt, der es Eltern erlaubt, sich sowohl der Versorgung ihres Kindes zu widmen als auch am Erwerbsleben beteiligt zu bleiben (Müller-Heine, 2006, S. 58; BMFSFJ, 2006, S. 8). Innerhalb der Debatte zur Novellierung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) (Deutscher Bundestag, 2006) wurde von der Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU 2005 erstmalig eine familienpolitische Maßnahme nicht als Einzelmaßnahme konzipiert, sondern in ein integratives Konzept einer nachhaltigen Familienpolitik eingebettet, damit Infrastrukturpolitik, Zeitpolitik und finanzielle Transferpolitik ineinandergreifen können (Bertram & Deuflhard, 2013, S. 157). Insbesondere die Einführung der beiden sogennanten Partnermonate, durch die die Bezugszeit des Elterngelds verlängert werden kann, wenn jedes der Elternteile mindestens 2 Monate Elternzeit und -geld beantragt, stieß in der Fraktion der CDU/CSU auf Widerstand, da dies als „Einmischung des Staates in Familienangelegenheiten“ gedeutet wurde (Spiegel Online, 2006; Niclauß, 2015, S. 344; Fuchsloch & Scheiwe, 2007, S. 16). Aus sozialwissenschaftlicher und feministischer Perspektive wurde bzw. wird das BEEG kritisiert, da vor allem Eltern mit mittleren und höheren Einkommen profitieren, während gering qualifizierte schlechter gestellt sind (Scheele, 2009, S. 176; Butterwegge, Klundt & Belke-Zeng, 2008, S. 100; Wimbauer, Henninger & Dombrowski, 2008, S. 21; Jurczyk, 2015, S. 274). Die soziale Unausgewogenheit der Maßnahmen kommt auch darin zum Ausdruck, dass das Elterngeld seit 2011 auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird (Jurczyk, 2015, S. 274; Mayer & Rösler, 2013, S. 181). [2]
Die familienpolitische Rahmung von Elternzeit und -geld geht zumeist einher mit der (Re-)Produktion hetero- bzw. paarnormativer Konzepte von Elternschaft. Mit der Einführung des Erziehungsgeldes war – zumindest rhetorisch – eine geschlechtsindifferente Adressierung erfolgt (Malzahn, 1985, S. 185). Dennoch bezog sich der Begriff Eltern innerhalb des bundesdeutschen Kontextes der 1980er Jahre – anders als beispielsweise in Schweden – ausschließlich auf miteinander verheiratete, heterosexuelle Mütter und Väter (Kolbe, 2002, S. 361). Die Ausgestaltung des BErzGG fokussierte ein Modell, das zudem eine klare Trennung in Erwerbs- und Reproduktionstätigkeit vorsah (Malzahn, 1985). Die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs verlangte es, die Berufstätigkeit der inanspruchnehmenden Person teilweise oder vollständig aufzugeben; auch durfte Erziehungsurlaub erst nach Ablauf der achtwöchigen Mutterschutzfrist und nur dann gewährt werden, wenn der Ehepartner erwerbstätig, arbeitslos oder in Ausbildung war. Somit war ausgeschlossen, dass auch der erwerbstätige Elternteil Erziehungsurlaub und -geld nutzen und beide gleichzeitig für das Kind Sorge tragen konnten (Kolbe, 2002, S. 333), während eine Nutzung nacheinander durchaus möglich war. Eine Konsequenz der damaligen Regelungen war, dass insbesondere Mütter aufgrund ihres häufig geringeren Einkommens ihre Berufstätigkeit aufgaben oder stark einschränkten. Väter in nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften konnten keinen Anspruch geltend machen (Malzahn, 1985, S. 187; Kolbe, 2002, S. 350). Auch die familienpolitische Neuausrichtung seit 2001 legte den Fokus auf heterosexuelle Mütter und Väter und begünstigte eine geschlechtsspezifische Asymmetrie. Dies verdeutlichen einerseits die mit der Novellierung des BEEG im Jahr 2007 verbundenen Zielsetzungen (Bujard, 2013a, S. 140), in denen u. a. die weitere Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Müttern sowie die der Fürsorgebeteiligung von Vätern formuliert wurden (Bujard, 2013b, S. 3; Müller-Heine, 2006, S. 59; Fuchsloch & Scheiwe, 2007, S. 12–17). Im familienpolitischen Diskurs wird damit eine Steigerung der Generativität der heterosexuellen Kleinfamilie fokussiert (Neumann, 2019). Andererseits sieht die juridische Ausgestaltung des BEEG eine Ungleichbehandlung homosexueller Eltern vor, da nur das leibliche bzw. das an rechtliche Elternschaft geknüpfte Elternteil Anspruch auf Elterngeld und -zeit erhält. Der*die Partner*in kann diesen nur als Ehegatt*in bzw. eingetragene Lebenspartner*in geltend machen und unter der Voraussetzung der Adoption des Kindes. Diese Ungleichbehandlung wurde auch mit der 2018 eingeführten sogenannten „Ehe für alle“ nicht aufgehoben, sondern mithilfe einer biologistischen Argumentation durch den Bundesgerichtshof weiterhin legitimiert (Redaktion beck-aktuell, 2018). [3]
Die Strukturierung des BErzGG bewirkte, dass Erziehungsurlaub und -geld auch durch Väter in Anspruch genommen wurden: Bis Ende der 1990er Jahre beanspruchten 2,7% aller Väter Erziehungsgeld bzw. Erziehungsurlaub (Bothfeld, 2005, S. 29; Pettinger, 2000, S. 247). Mit Einführung der beiden Partnermonate im Jahr 2007 erhöhte sich deutschlandweit der Anteil an Vätern, die Erziehungsurlaub und -geld beantragten; lag er beispielsweise im Jahr 2006 bei 3,5% (im Rahmen des damaligen BErzGG), steigerte er sich bis zum Jahr 2015 auf 35,8% (Schutter & Zerle-Elsäßer, 2012, S. 220; Statistisches Bundesamt, 2019a, S. 22). Dabei unterscheidet sich jedoch die durchschnittliche Bezugsdauer von Elterngeld zwischen den Geschlechtern deutlich (Frauen: 14,2 Monate; Männer: 3,8 Monate) (Statistisches Bundesamt, 2019b). Auch mit dem Modell der Partnermonate, durch dessen vergeschlechtlichende Setzung eher Väter adressiert werden, wird eine primäre und sekundäre Sorgeverantwortung zwischen den Eltern fortgeschrieben. Obwohl innerhalb des politischen wie öffentlichen Diskurses häufig auf die vermeintliche Geschlechtsneutralität des Begriffs Partnermonate verwiesen wird, finden sich Formulierungen wie ‚Vätermonate‘, ‚Papamonate‘ oder polemische Bezugnahmen wie ‚Wickelvolontariat‘ (Müller-Heine, 2006, S. 60; Seubert, 2008, S. 393; Niclauß, 2015, S. 344; BMFSFJ, 2012, S. 142). Als Alternativen werden Begriffe wie Familien- oder Elternmonate diskutiert (Neumann, 2016a, S. 68; Neumann 2016b, S. 7). Beim ElterngeldPlus findet sich die Formulierung „Partnerschaftsbonus“ (BMFSFJ, 2017). [4]
Die Inanspruchnahme von Elternzeit und -geld durch Väter entwickelte sich zu einem Schwerpunkt sozialwissenschaftlicher und soziologischer Forschung, die sich vor allem ungleichheits- und geschlechtersoziologischen Fragestellungen, beispielsweise Retraditionalisierungseffekten in Phasen der Familiengründung oder der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, widmet. Teilweise gründet die Forschung auf der familienpolitischen Zielsetzung, die Familienbeteiligung von Vätern und die Erwerbsbeteiligung von Müttern zu fördern (Brandt, 2017, S. 594; Bujard, 2013a, S. 140; Wrohlich et al., 2012, S. 63). Erkennbar ist ein erwerbsorientierter Forschungsfokus; unbezahlte Fürsorgearbeit hingegen wird seltener thematisiert. Weitere Untersuchungsfelder betreffen ein neues Verständnis von Vaterschaft im Sinne ‚aktiver‘ oder ‚neuer‘ Väter (Bresinski, 2012; Behnke & Meuser, 2012; Meuser 2011; vgl. auch Kolbe, 2002, S. 321–328). Quantitative soziologisch und ökonomisch ausgerichtete Studien zur Elternzeit konzentrieren sich auf Wirkungen und Effekte des Elterngeldes sowie auf förderliche und hinderliche Einflussgrößen, beispielsweise den Bildungsgrad der Eltern oder die Höhe des Elterngeldes (Unterhofer & Wrohlich, 2017; Peltz, Streckenbach, Müller, Possinger & Thiessen, 2017; Zerle-Elsäßer & Li, 2017; Brandt, 2017; Bünning, 2016; Trappe, 2013; Reich, 2010). Als wesentliche Einflussfaktoren für die (Nicht-)Beanspruchung väterlicher Elternzeiten werden die finanzielle Situation, die Bildungs- und die Erwerbsrelation dargestellt. Andere soziologische und politikwissenschaftliche Studien entwickeln mithilfe qualitativer Forschungsdesigns diverse Vätertypologien bzw. Nutzungstypen (Pfahl, Reuyß, Hobler & Weeber, 2014, S. 28–45) und Elternzeitmodelle (Ehnis, 2009; Pfahl & Reuyß, 2009; Richter, 2011). In der Auswertung von Paarinterviews konnte gezeigt werden, wie das komplexe Gefüge aus erwerbsspezifischer Situierung und den jeweiligen Bezügen auf Elternschaft und Geschlecht nicht nur die (variierenden) Elternzeiten, insbesondere die der Väter, sondern auch den Rahmen der Aushandlungen selbst beeinflusst (Peukert, 2015). Fragen nach Schwierigkeiten, mit denen sich elternzeitnehmende Väter konfrontiert sehen, sowie Fragen der Förderung (paternaler) Elternzeit bilden einen weiteren Schwerpunkt familien- und geschlechtersoziologischer Studien (Possinger, 2015; Neumann & Meuser, 2017). Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass die Arbeitskraft von Vätern aus organisationaler Perspektive häufig als unverzichtbar gilt im Vergleich zu jener von Müttern (Neumann & Meuser, 2017, S. 90; Aunkofer, Meuser & Neumann, 2018, S. 14). Väter, die den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit zugunsten der Familie reduzieren, fordern etablierte Norm(alität)en der Erwerbssphäre heraus und gelten nicht selten als weniger leistungsbereit oder illoyal einem Unternehmen gegenüber (Gesterkamp, 2007). Familienpolitische und wohlfahrtstaatliche Forschungen zeigen, dass über Elternzeit und Elterngeld zwar tradierte sozialstaatliche Strukturierungsweisen aufgebrochen werden könnten, dass dennoch aber Beharrungstendenzen der geschlechtlichen Arbeitsteilung bestehen, Vereinbarkeitsprobleme nicht aufgehoben werden (Auth, Leiber & Leitner, 2011), und dass die familienpolitischen Rejustierungen von ökonomischen Rationalitäten durchzogen bzw. im Narrativ des Social Investment-Paradigmas zu verorten sind (Leitner, 2008). Ob und inwiefern Elternzeit und Elterngeld im Sinne von Parental Leave bzw. Leave Policies egalisierende Wirkungen auf vergeschlechtlichte Erwerbs- und Sorgearbeit entfalten, wird auch international beforscht (u.a. Doucet, 2017; O’Brien & Wall, 2017; Moss, 2015; Meil, 2013). Die meisten Studien verlassen eine heteronormative Perspektive nicht. Deren Infragestellung könnte nicht nur dazu beitragen, Forschungslücken zu schließen, sondern die bestehenden Ungleichheitsrelationen hinsichtlich Staat, Politik, Elternschaft, Familie und Gender in ihrer komplexen Verschränktheit adäquater zu fassen (Neumann, 2019). [5]