Der Begriff Care findet sowohl in englisch- als auch in deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen, sozialpolitischen und (sozial)philosophischen Kontexten Verwendung. Etymologisch leitet sich Care aus dem lateinischen Begriff cura ab, der sich an eine Gestalt der römischen Mythologie, die Cura, anlehnt. Im 1. Jahrhundert v. d. Z. bedeutete cura im antiken Rom zum einen, mit Sorgen, Mühen oder Ängsten belastet zu sein, und zum anderen, sich um das Wohl anderer zu sorgen (Reich, 1995, S. 319–320). Care kann als eine auf etwas oder jemanden gerichtete Haltung und Praxis bestimmt werden, die durch Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit sowie Unbehagen gekennzeichnet ist, und die in ihrer Funktion als schützend und erhaltend wahrgenommen wird (Stiegler & Schönwälder-Kuntze, 2017, S. 25–26). Der Begriff wird im deutschsprachigen Raum – mit jeweils unterschiedlicher Akzentuierung – zumeist mit Sorge, Fürsorge, fürsorglicher Praxis oder Sorgearbeit übersetzt. In gesundheits- und pflegewissenschaftlicher Perspektive fungiert Care als Analysekategorie im Bereich der Versorgungsforschung (Contandriopoulos, Perroux, Cockenpot, Duhoux & Jean, 2018) sowie aus theologischer Sicht zur Konzeptionierung spiritueller Bedürfnisse bei der Gesundheitsversorgung (Roser, 2017). In sozialphilosophischen und -psychologischen Beiträgen dient Care als Heuristik zur Bearbeitung von ethischen Fragen des Versorgungshandelns und der Moral (Conradi, 2016, S. 67–84), in erziehungswissenschaftlichen Diskursen als Perspektive auf Erziehungsmodelle (Noddings, 2002). Mikrosoziologische Zugänge rücken mit Care die Frage nach der Lebensführung in Sorgegemeinschaften in den Mittelpunkt (Jurczyk, 2014, S. 64–66). Auf der Handlungsebene wird Care als „beziehungsorientierte Tätigkeit“ (Brückner, 2011a, S. 78) bezeichnet, die durch Interaktionen charakterisiert ist, die von bedürfnisorientierten, gelingenden bis hin zu achtlosen, gewaltförmigen reichen können. In der Frauen- und Geschlechterforschung wird Care erstens als Analysekategorie genutzt, mit der je nach disziplinärem Zugang ein bestimmter „Bereich weiblich konnotierter Fürsorge und Pflege, d. h. familialisierter und institutionalisierter Aufgaben der Versorgung, Erziehung und Betreuung“ (Brückner, 2010, S. 43) in den Blick genommen wird. Zweitens wird er verwendet, um die private und die öffentliche Sphäre, die in der Regel getrennt und einzeln thematisiert werden, analytisch als zusammenhängend zu betrachten (Rerrich, 2010, S. 80–81). Care kommt drittens neben dieser deskriptiven und „synthetisierenden Funktion auch ein[e] deskriptiv-aufklärende“ (Stiegler & Schönwälder-Kuntze, 2017, S. 29) Funktion zu, beispielsweise im Kontext demokratietheoretischer Konzepte (Tronto, 2013). [1]
Seit den 1980er Jahren sind in der feministischen Forschung und Theoriebildung – vor allem im westeuropäischen Raum und in den USA – Diskussionsbeiträge entstanden, die als grundlegend für die feministische Auseinandersetzung um Care gelten können. Hierzu zählt u. a. die durch Carol Gilligan (1982) angestoßene Diskussion um eine geschlechtsspezifische Differenz von Moralvorstellungen, an die feministische Diskurse zu Care im angloamerikanischen und deutschen Raum zum Teil bis in die Gegenwart anknüpfen. Gilligans Arbeit wird meist dahingehend rezipiert, dass sie der männlichen Gerechtigkeitsmoral eine weiblich konnotierte Fürsorgemoral (ethics of care) gegenüberstellt. Vor diesem Hintergrund wurde ihre Argumentation von einigen Theoretiker*innen als binäre Geschlechterrollen reifizierend kritisiert (Gould, 1988). In Deutschland wurde die Auseinandersetzung um Care durch marxistisch orientierte Feministinnen geprägt, die die Bedeutung der weiblich konnotierten Reproduktionsarbeit für kapitalistische Produktionsverhältnisse herausarbeiteten. Ausgehend von ihrer Kritik entwickelten sie unterschiedliche Erklärungsmodelle zur Dichotomie von privater und öffentlicher Sphäre, zu weiblich und männlich konnotierten Tätigkeitsbereichen und der damit verbundenen Ungleichheit innerhalb der Geschlechterverhältnisse (Kontos & Walser, 1979) sowie einen erweiterten Arbeitsbegriff. In diesem Kontext entstand die Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“ (Sellach, 2018, S. 109). Konzeptionelle Beiträge zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bildeten im deutschsprachigen Raum unter anderem die Studie „Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit“ (Bock & Duden, 1977) sowie die Analysen zur „doppelten Vergesellschaftung“ (Becker-Schmidt, 2010) und zur geschlechtsspezifischen Lebensführung (Jurczyk & Rerrich, 1993). [2]
Theoretische Perspektiven auf Care unterscheiden sich nach disziplinärer Verortung, und nicht in allen Konzepten erhält Care einen „substantiell theoretischen Prinzipienstatus“ (Stiegler & Schönwälder-Kuntze, 2017, S. 29). Vor diesem Hintergrund fungiert Care meist nicht als in sich geschlossenes Erklärungsmodell für ein spezifisches soziales Phänomen, sondern nimmt vielmehr die Form eines sensibilisierenden Konzepts (sensitizing concept) an, mit dem sich unterschiedliche Kategorisierungen zum komplexen Phänomen der Fürsorge beziehungsweise Sorge entwickeln lassen (Dahl, 2017, S. 64). Als gemeinsamer Bezugspunkt solcher Konzeptionen kann das Argument gelten, dass Care eine spezifische Logik aufweist. Diese Logik fasst die norwegische Soziologin Kari Waerness (1984; 2000) mit dem Begriff der Fürsorgerationalität (rationality of caring) zusammen. Für Waerness umfasst Care ein Spektrum an menschlichen Erfahrungen (Waerness, 1984, S. 188). Darin gewinnen das Gefühl, angesprochen zu sein, und die damit verbundene Übernahme von Verantwortung, an Relevanz. Der Akt des Sorgens erfordere deshalb gleichsam Gefühl und Rationalität – letzteres verstanden als praktische Erfahrung in der Verantwortungsübernahme für das Wohlbefinden anderer (Waerness, 1984, S. 195). In ihm vollzieht sich die spezifische Fürsorgerationalität, die gängige Vorstellungen von einem Gegensatz zwischen Gefühl und Rationalität konterkariert (Waerness, 1984, S. 190–192). In der Gerichtetheit auf einen Bezugsgegenstand (Stiegler & Schönwälder-Kuntze, 2017, S. 30) zeigt sich eine relationale Logik von Care, innerhalb derer Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse (Dahl, 2017), Dynamiken der Selbst- und Subjektpositionierung (Klinger, 2014, S. 35–39) sowie der Tauschökonomie (Chorus, 2013, S. 101–109) wirksam werden. Einige Autor*innen betonen, dass nicht nur Personen, sondern auch die Mitwelt und andere Entitäten, wie beispielsweise Objekte und Infrastrukturen, wichtige Bezugspunkte dieser Relationalität darstellen (Puig de la Bellacasa, 2011). [3]
Als normatives Konzept firmiert Care als Gegenentwurf zu gängigen Autonomiekonzepten (Brückner, 2011c, S. 105–107) und verweist als herrschaftskritisches Analyseinstrument auf ein inhärentes Transformationspotenzial (Tronto, 2016). In dieser Konzeption erlaubt Care eine Gesellschaftskritik, in deren Zentrum die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung (Gerhard, 2014, S. 71) und kapitalistische Produktionsverhältnisse stehen. Vor dem Hintergrund kapitalismus- und patriarchatskritischer Grundsätze werden Konzeptionen von Care, beispielsweise im Rahmen feministisch-ökonomischer Perspektiven, als persönliche Dienstleistung (Gubitzer & Mader, 2011, S. 18), in subjektorientierten Kontexten als weiblich konnotierte soziale Praxis (Brückner, 2011b) sowie als Kristallisationspunkt kapitalistisch induzierter Versorgungslücken (Winker, 2011, S. 336–340) ausdifferenziert. Weitere Konzeptionierungen von Care existieren im Modell der caring masculinities, in dem ein gegenhegemoniales Männlichkeitskonzept (Elliot, 2016) entworfen wird, oder in gerechtigkeits- und demokratietheoretischen Rekonzeptualisierungen, in denen Care vereinzelt genutzt wird, um die demokratische Verteilung der Zuständigkeit und Verantwortung für Sorge in den Mittelpunkt zu stellen, beispielsweise im Rahmen von caring democracy (Tronto, 2013, S. 30–33). [4]
Empirische Forschung zu Care ist in unterschiedlichen, meist sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern verortet und weist in ihren Fragestellungen häufig einen expliziten Bezug zur Geschlechterforschung auf. Care wird überwiegend als weiblich konnotierte Betreuungsarbeit für Menschen begriffen; vor allem Tätigkeiten der bezahlten und unbezahlten Kindererziehung sowie privater und öffentlicher Pflegetätigkeiten für kranke und ältere Menschen werden zum Untersuchungsgegenstand. Zu den am stärksten rezipierten Bereichen empirischer Care-Forschung gehören im deutschsprachigen Raum die Lebensführungsforschung (Zerle & Keddi, 2011, S. 58–69), die feministische Ökonomie (Madörin, 2010, S. 92–98), die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung (Auth, 2017), die intersektionale Forschung zu Pendelmigration und globalen Betreuungsketten (Lutz, 2008) oder die Sozialarbeits- und Pflegeforschung (Brückner, 2011b, S. 44–52). Zu den zentralen Zielen dieser Forschungsstränge gehören unter anderem das Herausarbeiten der Komplexität geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung in Care-Arrangements, die Beschreibung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Care-Arbeit und der Modi ihrer wohlfahrtsstaatlichen Regulation. Zudem werden Umverteilungsdynamiken von Sorgearbeit entlang der Kategorien Ethnie, Geschlecht und Klasse und ihre Implikationen für Ziel- und Herkunftsländer von Care-Arbeiter*innen in den Blick genommen. [5]
Von einigen Wissenschaftler*innen wird befürchtet, dass Care aufgrund seiner disziplinübergreifenden Rezeption zu einem ‚Containerbegriff‘ wird, in dem „sich alle gesellschaftlichen Problemanzeigen zu einem ‚Care-Paket‘ verpacken lassen“ (Gerhard, 2014, S. 69). Die analytische Schärfe des Begriffs drohe damit verloren zu gehen. Dieser Kritik wird wiederum entgegnet, dass mit einer einzigen Definition von Care eine Essentialisierung und unzureichende Vereinfachung der komplexen Dynamiken des gesamten Care-Bereichs einherginge (Dahl, 2017, S. 61). Daneben erfahren auch das Verständnis von Care als personenbezogene Dienstleistung und der Begriff der Care-Ökonomie Kritik – zum Beispiel durch die Soziologin und Philosophin Frigga Haug (2011). Unter einer ökonomischen Perspektive würden die Bestimmung von Gefühlen in die „rationale Betrachtung der Betriebssoziologie“ (Haug, 2011, S. 360) übergehen und auf diese Weise die Relationalität fürsorglicher Praxen aus dem Blick geraten (Haug, 2011, S. 360). Durch den Begriff der Care-Ökonomie werde zudem die Eingebundenheit von Frauen und Care in patriarchale Herrschaftsverhältnisse verdeckt und die Möglichkeit der Kritik derselben erschwert (Haug, 2011, S. 362). [6]